: Kürbisse von der Lower East Side
Wein- und efeubewachsene Brandmauern, Bäume, Blumen, Gemüse: Aus Brachland zwischen Hochhäusern wurden blühende Gärten. Eine Nachbarschaftsbewegung pflegt, hegt und schützt dieses Grün, auch als Beitrag zur nachhaltigen Esskultur
von ELISABETH MEYER-RENSCHHAUSEN
Es begann in New York. In der Nähe von Tomkins Square im südlichen Manhattan, in der Lower East Side. Dort, wo Fremde noch vor 20 Jahren nicht hingehen sollten, weil hier alles verkommen und die Kriminalitätsrate hoch war. Heute findet sich hier die höchste Dichte von Community Gardens in New York City. Community Gardens sind von Anwohnern gemeinschaftlich auf innerstädtischen Brachen angelegte Gärten, Dieses Brachland, vacant lots, sind Grundstücke, auf denen früher Häuser standen. Sie mussten abgerissen werden, nachdem die Besitzer sie wegen zu hoher Haus- und Grundbesitzsteuern hatten verfallen lassen. Mehr als 11.000 solcher Grundstücke besitzt die Stadt New York, auf 800 liegen Community Gardens. Sie haben mit dazu beigetragen, dass sich die Lower East Side neben allem Verfall teilweise wieder zu einer charmanten Gegend mit grünen Wohnstraßen gemausert hat.
Lower East Side, 1[st]Avenue, Bowery, Ecke Houston Street. Eine belebte Kreuzung. An einer Ecke ein hoher Zaun, und seitlich, nicht gleich zu sehen, ein großes Tor, offen. Unordnung und Kunst, rechts drei große Kompostverschläge: „fresh“, „cooking“ und „ready“. Links herunter ein Paradies: wein- und efeubewachsene Brandmauern, hohe Bäume, zahlreiche Blumen, ein kleiner Teich, einige Tomatenpflanzen und Wein. Im Teich sitzen Schildkröten, eine ockerfarben getigerte Katze rekelt sich im Gras und betrachtet uns misstrauisch; ganz hinten am Zaun, zwischen hochrankenden Blumen und Bäumen, eine Bank gegenüber einer kleinen Buddha-Statue. Bunte Gebetsfähnchen flattern zwischen den Bäumen.
Wir werden von Kelvin begrüßt, einem milde lächelnden 60er. Seit bald dreißig Jahren ist er hier zugange. Im letzten Jahr sollte der Garten abgerissen werden, aber sie haben geschafft, es zu verhindern. Jetzt hat der Garten den Status „permanent“, indem er von der Parkbehörde als Park anerkannt wurde.
Die Gartenarbeit macht aus einem einen anderen Menschen, erzählt unser Hobbygärtner. Er lächelt versonnen. „Licht, Luft, Schönheit und Ruhe“, schwärmt er zu unserer Verblüffung im Autolärm der sechsspurigen Houston Street. Wir schweigen beeindruckt. In der großen Hitze suchen wir Schutz vor der Sonne in der hölzernen Laube. Zusammen mit etwa zwölf Leuten und mit weiteren fünfzehn unregelmäßigen Helfern bewirtschaften sie den Garten, der im Sommer viele Stunden am Tag für das Publikum offen ist. Seitens der Behörde sind sie verpflichtet, den öffentlich unterstützten Garten zumindest fünf Stunden in der Woche offen zu halten. Wenn keiner von ihnen kann, beibt das Tor zu. Als Schutz vor Vandalismus und gegen wildes Müllabladen.
Als ich am Sonntag wiederkomme, ist der Garten stark besucht. Ich setze mich auf die Steinbank, ziehe mein Heft heraus, und eine schwarzweiß gefleckte Katze setzt sich schnurrend zu mir. Am zweiten Eingang zur Bowery lese ich, dass die beiden Katzen, die im Garten leben, Tipsi und Elsa heißen und nicht auf die Straße mitgenommen werden sollen. Außerdem werden die Tierschützer beruhigt, dass die Schildkröten und Fische im Teich gut überwintern könnten. Nur weitere Schildkröten möchten die Leute nicht mitbringen …
Nur ein kleiner Teil der Community Gardens in New York City ist geschützt. Deshalb entstand die New York Garden Coalition, der es gelang, sage und schreibe 4,2 Millionen Dollar zusammenzubringen, darunter allein 1,2 Millionen von der Schauspielerin Bette Midler. Mit diesem Geld konnten im Mai 1999 in letzter Minute 114 Community Gardens gekauft werden – unmittelbar vor ihrer Versteigerung an Investoren.
Die Organisation Green Thumb („Grüner Daumen“) ist heute in die Stadtverwaltung New Yorks integriert. Die Beratungs- und Koordinierungsstelle für Community-Gärten gehört zur Park- und Umweltbehörde der Stadt. Acht Leute sind dort beschäftigt, 650 der Community Gardens sind Mitglied von Green Thumb. Das unrenovierte und mit wilden Papierstapeln beladene Büro befindet sich hoch über der Stadt in einem alten Hochhaus der Stadtverwaltung, Chambers Street. Im Gegensatz zur ersten Generation sind die Green-Thumb-Leute heute ausgebildete Landschaftsarchitekten oder Absolventen von Öko-Studiengängen. Auf Wunsch der Community Gardeners wurde „Operation Green Thumb“ 1978 seitens der Stadt mit zunächst nur einer Halbtagsstelle eingerichtet. Hauptaufgabe: die Brachgrundstücke, die der Stadt gehören und auf den Gärten gegründet worden waren, an die interessierten Gruppen zu verpachten. Bis heute sind viele Green-Thumb-Beschäftigte über ihre Arbeitszeit hinaus auch ehrenamtlich in der Community-Gardening-Bewegung aktiv.
Die Leiterin Edie Stone erzählt von ihrem Community Garden im südwestlichen Brooklyn. Der Garten war mir aufgrund seines wilden, fantasievollen Bewuchses und seiner dekorativ verteilten Reliefsteine bereits aufgefallen. Dort arbeitet die Green-Thumb-Direktorin mit hohem zeitlichen Einsatz, obwohl sie hinter ihrem nahe gelegenen Reihenhaus einen kleinen backyard garden hat. Eine Voraussetzung für Green Thumb war das ab 1975 eingerichtete Open Space Greening Programm des Council of Environment, dessen erste Chefin die Community-Garden-Aktivistin Liz Christy wurde.
Leider sind viele der stolz durch grüne Tafeln am Zaun als zum Open Space Greening Programm gehörig gekennzeichnete grüne Ecken New Yorks, in der Umgebung großer Mietshäuser etwa, heute schon wieder furchtbar vernachlässigt. Das Durcheinander halbvertrockneter Büsche erinnert an das wilde Grün voller Müll in den Favelas der Dritten Welt. Trotz des Börsenbooms der 90er-Jahre, der New York City wieder besser verdienende Einwohner bescherte, ist die Kommune New York, die in den 70ern vor dem Bankrott gestanden hatte, noch immer arm.
Unsere Führerin durch die Gärten der Lower East Side ist Rebecca von den Green Guerillas. Dort arbeitet sie neben ihrem Studium ehrenamtlich. Die Green Guerillas entstanden 1973, als Liz Christy und ihre Bowery Houston Community Farm Gardeners vielfach um Rat gebeten wurden, von weiteren angehenden Community Gardeners. So tauften sie ihre Freiwilligen-Gruppe Green Guerillas, um so organisiert Neugärtnern mit Rat und Tat zur Seite zu stehen. Heute helfen die Green Guerillas Community Gardeners mit Beratung und indem sie ihnen Samen und Pflanzen geben, die sie sich von anderen Gärtnern oder von den Botanischen Gärten schenken lassen oder aus den eigenen Gärten beziehen. Anfangs halfen die Green Guerillas auch, indem sie Gartengeräte verliehen und bei der Errichtung des ersten Zauns halfen und indem sie die erste Ladung Erde und den Zaun brachten. Aber dann regten sie die Gründung von Green Thumb an, und das Stellen von Zäunen, Brettern und Erde hat jetzt die städtische Organisation übernommen. Die Green Guerillas regen Wandgemälde an, die von Kindern des Stadtteils ausgeführt werden, die so gleichzeitig etwas über den nachhaltigen Umgang mit ihrer Umwelt etwas lernen, und ihre Künstler verschenken Skulpturen. Sie vermitteln kundige Gärtner, oft aus den Südstaaten der USA, in neue Community Gardens, und die wissen, wie man mit Erfolg gesundes Gemüse anbauen kann, oder sie helfen aus, indem sie Landschaftsarchitekten zu den Neugärtnern schicken. 200 ehrenamtliche Helfer, 800 zahlende Mitglieder und 25 lokale und überregionale Organisationen, die Gelder geben, machen derzeit die Organisation aus. Die befreundete Künstlergruppe hat zudem eine informative und ansehnlich gestaltete Homepage eingerichtet.
Der letzte Garten, den Rebecca uns an diesem heißen Donnerstag zeigen will, liegt in einer ruhigen Wohngegend in der East 6[th]Avenue B, Nähe Tomkins Square. Er ist verschlossen. Rebecca zückt ihr großes Schlüsselbund und verschwindet rennend im Buschwerk Richtung Sägegeräusch. Wir dürfen eintreten. Auf dem vergleichsweise sehr großen Eckgrundstück ist ein älterer, Spanisch sprechender New Yorker am werkeln, ein anderer sitzt versonnen auf seiner Bank, inmitten des Gartens wässert eine Seniorin ihre Paprika hinter einem brusthohen Maschendraht. Zu den Häusern hin hohe Bäume und eine parkartige Anlage mit Brunnenimitation und Hütte samt Veranda. Davor die umfriedeten Einzelbeete, wo die 30 Gärtnerinnen und Gärtner dieses derzeit gefährdeten Gartens Tomaten und Kohl, Zucchini oder Broccoli, Zwiebeln und Knoblauch ziehen. Zur Straße hin eine fantasievolle Buschlandschaft mit mannshohen Hortensien. Ich bin erstaunt, wie viel Gemüse in den New Yorker Gärten angebaut wird. Ja, erklärt mir Mother Jerome, die aus einem Frauenkloster in Connecticut kommt, in dem biologische Landwirtschaft betrieben wird – die Amerikanerinnen hätten zwar oft erschreckend wenig Ahnung von Politik und Geschichte, „aber sie haben die Hände im Teich!“.
Wenn schon Nachbarschaftshilfe, dann auch praktisch, als essbaren Beitrag zu einer weltweiten nachhaltigen Ernährungskultur.
The Community Gardening Programm of the City of New York; Department of Parks & Recreation, Green Thumb, 49 Chambers Street, New York, NY 10007
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen