: Kostenlos, aber umsonst
Am autofreien Sonntag durften Bus und Bahn erstmals ohne Ticket genutzt werden. Weil dafür kaum geworben wurde, wussten nicht mal alle Fahrer Bescheid. Sinn der Aktion blieb vielen unbekannt
von PLUTONIA PLARRE
Eine Türkin in den besten Jahren steigt in den 119er und erkundigt sich mit einem freundlichen Lächeln beim Busfahrer: „Heute kostenlos?“ Der brummt, ohne eine Miene zu verziehen: „Nee, umsonst.“ Die Frau mit dem Kopftuch versteht nicht, denkt, dass sie bezahlen muss, und zückt ihr Portemonnaie. Nicht der Fahrer, sondern hinter ihm sitzende Fahrgäste klären die Türkin auf, dass es sich um einen Witz handelte.
Dass die Berliner Busfahrer nicht gerade zu den freundlichsten Vertretern der Spezies Mensch gehören, ist bekannt. Gestern wurde diesen Herren allerdings wirklich einiges abverlangt. Ebenso wie U- und S-Bahn fuhren die Busse anlässlich des europaweiten autofreien Aktionstages den ganzen Sonntag zum Nulltarif. Weil die BVG jedoch diese Nachricht überaus spärlich verbreitet hatte, wollten viele Fahrgäste wie immer bezahlen.
„Irgendwann hat man so einen Hals“, sagt ein Busfahrer mit deutlicher Geste. Nicht nur die Fahrgäste, auch das BVG-Personal sei kaum benachrichtigt worden. „Einige Kollegen wussten gar nichts und haben am Sonntagmorgen noch fröhlich kassiert.“ Erst als sich einige Fahrgäste bei der BVG beschwert hätten, sei über Funk noch einmal ein Hinweis gekommen.
„Viele Kunden wissen nichts, vor allem die ausländischen Gäste“, bestätigt eine Ticketverkäuferin in der U-Bahn am Alexanderplatz. Sie hat es sich deshalb zur Aufgabe gemacht, loszurennen, wenn sie draußen an den Automaten Kleingeld in den Schacht fallen hört. „Nein, nein, Sie müssen heute nicht bezahlen“, ruft sie den Leuten zu. Die Reaktionen sind ungläubige Blicke und großes Erstaunen. „Einer hat vorhin sogar gedacht, ich spiele mit ihm versteckte Kamera“, erzählt die BVG-Angestellte und lacht.
Auf den U-Bahnhöfen wird an der elektronischen Zuganzeigetafel auf den Nulltarif hingewiesen. Auf manchen Bahnhöfen erschallt gelegentlich zusätzlich eine Lautsprecherdurchsage. „Die meisten Leute denken, wir fahren wegen der Wahl umsonst“, erzählt ein BVG-Angestellter. Das ist schade, dass wir das nicht richtig klar gemacht haben.“ Die S-Bahn hat auf ihre Automaten immerhin Hinweiszettel geklebt und zusätzlich ein paar Fahrgastbetreuer in deren Nähe postiert.
In der Friedrichstraße und am Alexanderplatz zeigt sich das Publikum erstaunlich gut informiert. Vor allem viele Rentner und Familien sind gezielt unterwegs um sich den kostenlosen Service nicht entgehen und sich an dem Regentag durch Berlin treiben zu lassen. Vater, Mutter und vier Kinder aus Lehnitz bei Oranienburg waren erst beim Gottesdienst, dann wählen. Nun wollen sie einmal den Innenstadtring umrunden. Ein Rentnerpaar aus Potsdam will zum Lehrter Bahnhof, um mal zu gucken, wie es so um die Baustelle steht. Ohne Nulltarif, versichert der Mann, „wären wir zu Hause geblieben“. Sie habe sich schon gefragt, warum auf dem Bahnhof so viel los sei, sagt die Verkäuferin im Bäckerladen am Alex. Sie hatte nichts vom Nulltarif mitgekriegt.
Auch mehrere hundert Fahrraddemonstranten, die gestern in einer Kreisfahrt vom Brandenburger Tor zum Brandenburger Tor 70 Kilometer zurücklegten, freuten sich über das Gratisangebot. Bei strömendem Regen konnte so die eine oder andere Erkältung abgewehrt werden, weil man sich am Ende mit dem Fahrrad in die öffentlichen Verkehrsmittel schwingen konnte ohne für dieses noch draufzuzahlen. „Wenn man zu zweit fährt (gemeint ist das Fahrrad), ist das Ganze ziemlich teuer“, sagt ein älterer Herr. Und zu viert (hin und zurück) ist es sonst schon gar nicht drin.
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