: Sturmhauben statt Astronautenhelm
Sie ist die dienstälteste Spezialeinheit der deutschen Polizei. Nach dem blutigen Ende der Geiselnahme während der Olympiade in München wurde vor 30 Jahren das Berliner SEK gegründet. Ängste, das Kommando würde eine schießwütige Cowboytruppe werden, haben sich nicht bestätigt
von OTTO DIEDERICHS
Ihr letzter spektakulärer Auftritt liegt vier Wochen zurück: Nach mehr als fünfstündiger Belagerung stürmten Beamte des Spezialeinsatzkommandos der Berliner Polizei (SEK) am Abend des 20. August die besetzte irakische Botschaft in Zehlendorf. Innerhalb weniger Minuten waren die fünf Geiselnehmer überwältigt: gewaltsam, aber unblutig. Heute wird die dienstälteste Spezialeinheit der deutschen Polizei 30 Jahre alt.
Seitdem der damalige Innensenator Kurt Neubauer am 25. September 1972 die Aufstellung einer Sondereinheit innerhalb der Berliner Schutzpolizei bekannt gab, haben die SEK-Beamten ihre Schusswaffe zehnmal eingesetzt. Befürchtungen von Bürgerrechtlern, die Aufstellung von Spezialeinsatzkommandos würde zu einem häufigeren Schusswaffengebrauch der Polizei führen, bewahrheiteten sich zum Glück nicht.
Abgesehen davon, dass sich ein SEK-Mann einmal dummerweise in den eigenen Fuß geschossen hat, fliegen die Kugeln bei den harten Jungs in erster Linie auf dem Schießstand. Nur ein einziges Mal in der Geschichte des Berliner SEK wurde im Einsatz ein Mensch getötet: Ein Beamter erschoss voriges Jahr im Januar in Lichtenberg einen bewaffneten Supermarkträuber.
Insgesamt keine schlechte Bilanz für eine Polizeitruppe, deren Geschichte mit zwei überaus blutig verlaufenen Geiselnahmen in Bayern beginnt: Am 4. August 1971 scheiterte in München ein Banküberfall. In einem heftigen Feuergefecht wurden der Bankräuber Georg Rammelmayer und seine Geisel Ingrid Reppel von der Polizei erschossen. Im Jahr darauf wurde während der Olympischen Spiele am 6. September 1972 auf dem Flughafen Fürstenfeldbruck bei München 5 palästinensische Attentäter, ihre 11 israelischen Geiseln und ein Polizeibeamter in einer wilden Schießerei getötet.
Aufgeschreckt erklärte der seinerzeitige Berliner Polizeipräsident Klaus Hübner: „Jede Polizei, wie sie damals gegliedert war, meine eigene Behörde eingeschlossen, konnte einer solchen Situation nichts entgegensetzen, insbesondere nichts, um den Täter überzeugend abzuschrecken.“ Drei Wochen nach dem Massaker gab Kurt Neubauer die Aufstellung einer Sondereinheit innerhalb der Berliner Schutzpolizei bekannt und hob damit das erste polizeiliche Spezialeinsatzkommando aus der Taufe. Gesucht für den neuen Job wurde der „Astronautentyp“: „mit überdurchschnittlicher Intelligenz, aber kein Überflieger, der weder zum Übermut neigt, noch sein Handeln durch Furcht bestimmen lässt“. Im Januar 1973 startete der erste Lehrgang mit 49 Beamten, und im Juli standen die erste SEK-Einheit und ein Team von Präzisionsschützen.
Noch während der Ausbildung bewältigte die neue Truppe ihren ersten Einsatz, als sie einen schussbereiten Gewalttäter ohne eigenen Waffeneinsatz überwältigte. Seither absolvierten die Beamten mehr als 15.000 Einsätze, einen der schwierigsten im Oktober 1998, als im U-Bahnhof Kottbusser Tor ein nervenkranker Algerier einen dreijährigen Jungen als Geisel nahm. Fünf Stunden lang setzte er dem Kind ein Messer an den Hals, Verhandlungen schlugen fehl. Ein tödlicher Schuss auf den Geiselnehmer war schon genehmigt, doch dann nahm der das Messer in die andere Hand, um dem Jungen einen Keks zu geben. Das SEK schlug sofort zu.
Um für solche Aktionen eingespielt und fit zu sein, steht Training ganz oben auf dem Dienstplan. In der Anfangszeit übten die Beamten das blitzschnelle Klettern und Abseilen bei der Feuerwehr. Heute hat die Spezialeinheit ihr eigenes Trainingsgelände, daneben übt sie auf den Berliner Flughäfen und in der U- und S-Bahn.
Auch wenn die Männer mit den schwarzen „Sturmhauben“ in erster Linie immer dann gerufen werden, wenn die normalen Streifenbeamten schlicht überfordert sind, hat sich ihr ursprünglicher Einsatzbereich der unmittelbaren Gewaltkriminalität im Laufe der Jahre klandestin ausgeweitet. Immer wieder einmal stehen sie auch als Verstärkung der Festnahmekommandos bereit, wenn bei Demonstrationen mit größeren Krawallen gerechnet wird. Rund 100 SEK-Männer im Alter zwischen 27 und 45 Jahren warten heute am Steglitzer Augustaplatz auf den Einsatz. Eine Frau ist nicht dabei. Keine hat bisher das harte Auswahltraining überstanden.
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