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Zeit zum Nachdenken für die PDS

Parteienforscher über das Wahlergebnis: Nicht der Gysi-Faktor war schuld. PDS-Wähler blieben lieber zu Hause oder wählten SPD. Die Grünen profitierten vom Stimmensplitting für Rot-Grün, und die Berliner CDU hat aus ihrer Krise nichts gelernt

von ADRIENNE WOLTERSDORF

Die PDS, die große Verliererin der Bundestagswahl, war seit Jahresanfang auf dem absteigenden Ast. Ihre Probleme sind langfristiger Art. Dieser Ansicht sind Berliner Wahlforscher, die sich dennoch über den dramatischen Absturz der Ostpartei wundern. Denn auf der Linie nach unten sei der Rücktritt von PDS-Wirtschaftssenator Gregor Gysi „keine dramatische Delle gewesen“, meint Gero Neugebauer, Politologe an der FU Berlin. Dass Klaus Wowereit bereits am Wahlabend das PDS-Debakel eindeutig auf das Konto Gysis buchen wollte, sei ein Zeichen, dass der Senatschef nun „die rot-rote Koalition schönreden will“.

Ausschlaggebender als der Verlust des Glamour-Frontmannes sei für die PDS die Flut gewesen. Die habe „den Sozialisten den Boden unter den Füßen weggespült“, meint Neugebauer. Warum? Das Krisenmanagement und das dazu verwendete Vokabular sei einfach zu verstaubt gewesen. Da sei von NAW, einem Nationalen Aufbauwerk, die Rede gewesen, schlicht die „ungehinderte Fortsetzung des alten SED-Denkens“. Und das kommt bei vielen Linken in Ostdeutschland nicht mehr an.

Auch die Forscher bei Infratest-Dimap meinen, dass die Ostdeutschen der Stimme des Ostens nicht mehr so zuhören. Mittlerweile hätten die Genossen, durch eher unauffälliges Mitregieren in Schwerin und Berlin, ein Glaubwürdigkeitsproblem, meint Neugebauer: Viele trauten ihr nicht mehr zu, Arbeitslosigkeit und Wirtschaftsflaute in den Griff zu bekommen. Die abtrünnigen PDS-WählerInnen hätten, um Stoiber zu verhindern, entweder die SPD gewählt oder seien gleich zu Hause geblieben. Das legt die niedrige Wahlbeteiligung in Ostberlin nahe, die gebietsweise unterdurchschnittlich bei rund 70 Prozent lag.

Anders als die PDS, die diesmal statt ProtestwählerInnen eher Denkzettel bekam, schaffte es Rot-Grün an die Urnen zu rufen. Die Grünen seien nun ein gutes Beispiel, sagt der FU-Politologe, dass Niederlagen und Auszeit kreativ genutzt werden könnten. Dabei käme es für die PDS darauf an, ein Profil zu entwickeln. Bei den Grünen sei am Ende dieses Prozesses „der Realo rausgekommen“. Ein „Unikat“ wie Fundi Hans-Christian Ströbele, Gewinner des bundesweit einzigen Grünen-Direktmandates, symbolisiere hingegen das verbleibende Misstrauen der grünen Klientel gegen die Friedensversprechungen Schöders und Fischers. Die Ökopartei, einzig eindeutige Siegerin, profitierte laut Infratest zudem vom Stimmensplitting der taktischen Wähler. Wer Rot-Gelb verhindern wollte, wählte verstärkt grün. Sehr wichtig seien natürlich die populären Spitzenkandidaten Joschka Fischer und Renate Künast gewesen.

Wenig attraktiv schien den Berliner WählerInnen die krisengeschüttelte CDU zu sein. Sie errang kein einziges Direktmandat in der Hauptstadt. Das hänge, so Neugebauer, mit dem geringen Bekanntheitsgrad des christdemokratischen Personals zusammen. „Nur 40 Prozent der befragten Berliner kennen den CDU-Chef Christoph Stölzl.“ Der sei zwar geholt worden, um der maroden Partei bürgerliches Flair zu geben, wirke aber inmitten des desolaten Haufens eher „wie eine Galionsfigur vorn am Sklavenhändlerschiff“. Die CDU präsentiere sich den WählerInnen schlicht „in keinem guten Zustand“. Die einst führende Berliner Partei bedürfe einer Umorganisation. Denn bislang habe sie „aus ihrer Krise faktisch nichts gelernt“. Welche Gründe die BerlinerInnen hatten zu wählen, wie sie wählten, so die Wahlforscher, wisse man erst in einigen Wochen. Dann lägen die Analysen der Umfrage-Datenbanken vor.

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