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Panzer und Bulldozer in Gaza

Bei dem Einmarsch israelischer Truppen werden mindestens neun Menschen getötet und 24 verletzt. Israel will Belagerungvon Arafats Amtssitz fortsetzen. Neue Nahost-Resolution des UN-Sicherheitsrates fordert ein sofortiges Ende der Belagerung

Arafat und Scharon könnten einer ohne den anderen politisch nicht existieren

aus Gaza SUSANNE KNAUL

„Bis gestern konnte ich hier meinen Wagen reparieren lassen.“ Hasem, ein NGO-Mitarbeiter aus Gaza, deutet auf einen riesigen Steinhaufen und Ruinen. Die Autowerkstatt an der Hauptstraße vom israelischen Kontrollpunkt Eres zur Stadt soll, Militärberichten zufolge, Produktionsstätte für Mörsergranaten gewesen sein. „Ich habe davon niemals etwas gemerkt“, meint Hasem.

Nur einige hundert Meter weiter bietet sich erneut ein Anblick der Verwüstung. In dem zerstörten Haus war bis zum Raketenbeschuss vor einigen Tagen ein Falafelrestaurant. Die schlimmsten Angriffe seit mehreren Monaten standen indes noch bevor. Mindestens neun Palästinenser wurden getötet und 24 verletzt, als in der Nacht zu Dienstag israelische Soldaten mit Panzern, Bulldozern und Militärfahrzeugen bis kurz vor das Stadtzentrum vorrückten.

13 Metallverarbeitungsstätten, in denen „Kassam-Raketen hergestellt wurden“, so ein Armeesprecher, wurden zerstört sowie die Wohnhäuser zweier mutmaßlicher Terroristen. Die Invasion mit gepanzerten Fahrzeugen sei eine „Vorbeugemaßnahme“, da den Soldaten Informationen vorlagen, nach denen „die Hamas Anschläge auf Militärfahrzeuge plant“, so der Sprecher. Palästinensische Ärzte sprachen von „sechs Zivilisten“ unter den Todesopfern.

Israels Regierungschef Ariel Scharon drohte unterdessen, mit verschärften Militäraktionen gegen „die Infrastruktur der Hamas“. Die Regierung erwägt zudem einen Landesverweis der führenden Hamas-Funktionäre. Am Vortag hatten in Gaza Journalisten und Betriebe gestreikt, am Wochende waren tausende gegen die neuen Invasionen auf die Straße gegangen. „Palästinenserchef Jassir Arafat ist wieder so populär lange nicht mehr“, meint Hasem. „Er und Scharon könnten einer ohne den anderen politisch nicht existieren.“

Auch in Ramallah demonstrierten in der Nacht hunderte Palästinenser aus Solidarität mit dem Palästinenserchef. Die Demonstranten marschierten auf den Regierungskomplex zu, bis die Soldaten sie mit Schüssen in die Luft wenige hundert Meter vor dem Amtssitz aufhielten.

Am Vortag waren Verhandlungen zwischen Israel und den Palästinensern über eine Kompromisslösung gescheitert. Israel lehnte den Vorschlag ab, die 19 mutmaßlichen Terroristen, die sich in dem Gebäude versteckt halten sollen, in palästinensische Haft zu überführen, sondern fordert deren Auslieferung.

Israel will, so verlautete gestern aus Regierungskreisen, die Belagerung des Amtssitzes von Arafat ungeachtet der internationalen Kritik fortsetzen. Der UN-Sicherheitsrat hatte gestern früh eine neue Nahost-Resolution formuliert, die ein sofortiges Ende der Belagerung fordert. Zudem soll die Zerstörung von zivilen Einrichtungen und Gebäuden der Sicherheitsdienste eingestellt werden und Israel die Truppen bis zu den Stützpunkten von September 2000 zurückziehen.

Als einziger Mitgliedsstaat enthielten sich die USA aufgrund „mangelnder Ausgewogenheit“ der Stimme. Dennoch verurteilte Washington die jüngste Militäraktion, die „dem Fortschritt einer palästinensischen Reform nicht hilfreich“ sei, scharf. Der amerikanische UN-Botschafter John D. Negroponte riet in seiner Rede vor dem Weltsicherheitsrat, „die Konsequenzen der Aktionen zu berücksichtigen und weitere Maßnahmen, die die Spannung und Gewalt eher eskalieren lassen“, zu vermeiden. Die Zerstörung der palästinensischen Infrastruktur werde „Israels Sicherheit nicht verbessern“.

Palästinenserführer Arafat begrüßte den UN-Beschluss und forderte eine rasche Umsetzung. In seinem Amtssitz halten sich, Berichten zufolge, noch rund 200 Palästinenser auf. Auf Druck der USA hatten die Militärs am Vortag die Zerstörung der umliegenden Gebäude eingestellt. Auf israelischer Seite wurde die UN-Resolution kontrovers diskutiert. Während sich Oppositionsführer Jossi Sarid (Meretz) dem Aufruf nach einem sofortigen Truppenabzug anschloss, bezweifelte der rechtsextreme Minister für Infrastruktur Effi Eitam eine Ausgewogenheit. Außenminister Schimon Peres erkannte „positive Elemente“ in der Resolution. Die „Stimme Israels“ zitierte ihn mit den Worten, „wir werden mit Arafat verhandeln, sollte er wiedergewählt werden“. Der Likud-Minister Dani Naveh lehnte Verhandlungen mit Arafat ab. „Der Außenminister spricht für sich, nicht für die Regierung“, meinte Naveh im staatlichen Hörfunk.

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