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Das Leben in der Schachtel

Neu auf dem Berliner artforum (1): Juliane Wellerdiek arbeitet in ihrer Galerie in der Torstraße mit Raum- und Konzeptkünstlern

von RICHARD RABENSAAT

Auf dem Foto schwebt eine Flotte kleiner bunter Hubschrauber über einer zerklüfteten Industrielandschaft. Poppige Wohncontainer baumeln unter den Fluggeräten. Mit der fröhlichen Armada illustriert der Franzose Alain Bublex seine Vision einer urbanen Zukunft. „Vielleicht sollten wir das einfach mal bauen, um zu sehen, ob solche Vorstellungen auch funktionieren“, überlegt seine Galeristin Juliane Wellerdiek. Auf dem „artforum“ zeigt sie einige Fotoarbeiten des Franzosen. Häufig untersucht er mit seinen Fotoserien architektonische Gestaltungsmöglichkeiten in tristen Industrie- und Stadtlandschaften. Noch wurde kein Entwurf realisiert, aber die Fiktionen sind so realistisch, dass sie die Vorstellungskraft des Betrachters in Richtung einer möglichen Utopie anregen.

Bublex ist eine von drei Positionen, mit denen Wellerdiek bei ihrer ersten Teilnahme an der Messe das Profil ihrer Galerie verdeutlicht. Auch die beiden anderen ausgestellten Künstler, Karin Lind und Matthias Lengner, befassen sich in ihren Arbeiten mit Raumkonstruktionen. So war es Lengner, der die beiden Gestelle konzipierte, die den Galerieraum von Wellerdiek in der Torstraße beherrschen. In den Messehallen gliedert er den Projekt Space durch eine Winkelkonstruktion, die in der schmalen Koje noch einen weiteren Raum eröffnet, so entsteht eine etwas ungewöhnlich Raumsituation.

Angefangen hat die Kunstwissenschaftlerin Wellerdiek mit Assistenzen in mehreren Frankfurter Galerien. In Berlin traf sie dann auf eine experimentierfreudige Szene, an deren Lebendigkeit sie auch mit ihrer eigenen Galerie anknüpfen wollte. Dementsprechend eröffnete sie 1999 keinen aseptischen White Cube, sondern einen Raum, der mit seinen beiden aufragenden, variabel positionierbaren Stellwänden mit jeder Ausstellung eine neue Gestaltung annehmen kann. Dem flexiblen Raum in der Torstraße entspricht Wellerdieks Programm: „Das Medium oder die Herkunft sind mir nicht so wichtig, entscheidend ist das Konzept.“ Der Künstler müsse mit dem Raum umgehen, seine Idee überzeugend visualisieren können – so wie eben Lengner, der sein System aus variablen Steckwänden schon seit einigen Jahren verfolgt. „In den Raum hineingearbeitete Skulpturen sind das“, behauptet der Maler und Bildhauer von seinen Regal- und Kastenbauten. Dabei erinnert er an die Erkenntnis Duchamps, das über Kunst- und Nichtkunst der Präsentationszusammenhang und nicht unbedingt das gezeigte Werk entscheide.

Architektonische Räume und Umgebungen sind auch das Thema der Dänin Karin Lind. Sie variiert in Fotoserien, Zeichnungen und Miniaturmodellen Raumansichten und Perspektiven. Auf einer sechsteiligen Fotoserie erstreckt sich eine triste, graue Landstraße bis zum Horizont, fluchtet ins Unendliche. Dann wendet sich der Blick, und das Bild der schnurgeraden Teerstraße erscheint aus der umgekehrten Richtung. So verdrehen sich Raum und Zeit durch einen Kameraschwenk. Die Auswahl zum artforum bestätigt den Fokus von Wellerdiek, der in der intelligenten Inszenierung von Konzepten und der spannungsreichen Aufbereitung von manchmal auch verspielten Installationen und Objekten liegt. Dabei arbeitet die Galeristin mit Institutionen wie dem Bund Deutscher Architekten zusammen, in dessen Räumen sie die Schachtelstadtkonzepte von Bublex zeigte. Die dabei entstehenden Kontakte und Auseinandersetzungen findet Wellerdiek ebenso wichtig wie die adäquate Präsentation der Arbeiten ihrer Künstler. Stets geht es um einen lebendigen Prozess, in dem sich immer wieder neue Perpektiven ergeben. Oder wie es in der Selbstdarstellung der Galerie mit einem Satz von Francis Picabia heißt: „Der Kopf ist rund, damit die Gedanken die Richtung ändern können.“

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