: Genau, Rau! So machen wir‘s!
Die erste Regierungserklärung nach der Wahl. Protokoll eines sehr vertraulichen Anrufes
Nein, das hat mich überhaupt nicht erstaunt, als das Telefon vorhin klingelte und Jo Rau dran war. Er erklärte mir, man habe diesen Passus im Grundgesetz jetzt erst gefunden, der besage, dass bei einer Pattsituation zweier Großparteien beide komplett mitsamt ihren ehemaligen und aktuellen Koalitionspartnern von der Regierungsbildung ausgeschlossen seien. Er, Rau, habe sich dann mal umgehört, wer denn usw., kurz und gut: Ob ich ab morgen übernehmen könne.
Ich bejahte. Schließlich kenne ich mich in Politik gut aus, ich habe zu Hause mehrere Fernsehkanäle, ich ging mal auf die gleiche Schule wie Lothar Späth, und im Kampf um das Amt des Oberbürgermeisters von Heilbronn errang ich 1991 satte 0,2 Prozent der Stimmen – mein bestes Wahlergebnis seit Kriegsende.
Rau war begeistert, und ich erklärte ihm sofort mein Programm: Klaro, ich wolle vor allem eine Politik machen für die Menschen draußen im Lande, und da sollen diese Menschen bitte auch bleiben, damit wir in der Stadt weiterhin schön unsere Ruhe haben. Konkret bedeutet das: Umzugssperre für alle, denn diese sinnlose Umzieherei von A nach B verschlingt Milliarden, die anderswo dringend benötigt werden. Zum Beispiel in meinem Kabinett. Darin würde ich dann eine ganze Reihe guter Kumpels unterbringen, denn man will ja unter sich bleiben. Jeder kriegt ein Ministerium seiner Wahl, wir machen ein Gruppenfoto mit ihm, Rau, und gehen dann irgendwo was essen. Die Zeche zahle doch sicher der Bund – was Rau bestätigen konnte.
Schröder und Stoiber, fuhr ich fort, würden für ihre Untaten selbstverständlich büßen müssen und verschwänden für unbestimmte Zeit in irgendwelchen Lagern. Fischer aber wird zum Beseitigen der Kollateralschäden nach Serbien geschickt, da kann er dann ordentlich einen auf Friedensengel machen. Wegen der landestypisch fettigen Küche wird er endlich wieder sehr dick.
Der von mir vorgelegte Haushalt 2002/03 wird hingegen ziemlich solide sein, ich lasse mir dafür neues Geld aus dem Ausland kommen, Streichungen und Kürzungen wird es nicht geben, höchstens bei einigen längeren Artikeln (Die Zeit, FR), die sowieso keiner liest. Die Homoehe wird sogar noch über die normale Heterokiste gestellt, und Priester dürfen endlich mit ihren Ministranten zusammenwohnen, allerdings nicht gemischtkonfessionell, das wäre ja noch schöner! Überkommene Einrichtungen wie etwa die Getränke-, Salz- oder Schaumweinsteuer werden zu einer neuen Steuer zusammengefasst, die dann „Zusammengefasste Getränke-, Salz- und Schaumweinsteuer“ heißen wird.
Das Personalkarussell wird sich munter drehen, und das geht leider nicht ohne die üblichen Grausamkeiten ab. Die Planstellen für Jürgen Habermas und Günter Grass werden ersatzlos gestrichen, ihre Visionen eingezogen, ihr guter Name in den Schmutz gezerrt. Warum? Ein typischer Willkürakt, wenn Sie mich fragen, aber ich da oben mache ja sowieso, was ich will. Dafür werden Benjamin von Stuckrad-Barre und Hera Lind mobilisiert, denn die sind unverbraucht und haben keinerlei Visionen. Vielleicht werden sie aber auch in die USA abgeschoben. Die transatlantischen Beziehungen wird dies allerdings nicht sehr belasten, denn die werden sowieso abgeschafft. Stichwort: deutscher Weg. Wohin der letztlich führen soll, das wird wie immer eine Kommission stark überschätzter Eierköpfe unter der Leitung von Herrn Hartz zu klären haben.
Um die Arbeitslosen bei Laune zu halten, werden Fernsehen und Rauchen als Staatsziel in die Verfassung aufgenommen. Ebenso das Ziel, dass alle ständig und überall erreichbar sind. Außerdem sind sämtliche bekannten Drogen erlaubt und im Schnitt zehn Prozent billiger, gegenfinanzieren würde ich das durch Preiserhöhungen bei Videoausleihen. Benzin wird sogar noch teurer. Und Mobilcom wird natürlich nicht gerettet, denn wenn ich eines hasse, dann ist es dieser beschissene Staatsinterventionismus.
Um unser Heimatland wieder schöner und übersichtlicher zu gestalten, müsste man es auf Idealmaße gesundschrumpfen. Ich würde daher genau die fünf Bundesländer abstoßen, in denen die meisten Autounfälle gebaut werden und am meisten Privatfernsehen gekuckt wird – so wären wir die DDR auf elegante Weise wieder los und den „Solidaritäts“-Zuschlag gleich mit. Das bringt mir bei Umfragen ein sattes Plus von elf Prozent.
Dass dies alles möglich sein wird, liege an meiner grundgesetzlich verbrieften Richtlinienkompetenz, die er, Rau, mir allerdings noch mal schriftlich geben müsse, am besten per Fax, sagte ich. Hallo!, sagte ich, Herr Rau, sind Sie noch dran?, rief ich, aber der Hörer, die Leitung, oder, wer weiß, vielleicht sogar Johannes Rau selbst, sie waren tot.
OLIVER MARIA SCHMITT
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