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dieter baumann über LaufenEine Frage der Fette

Der Läufer kämpft gegen die Tücken des Stoffwechsels. Das war schon in der Steinzeit so

Mit einem „Sprung durch den Spiegel“ wird im gleichnamigen Buch die „Mauer“, also der tote Punkt bei einem Marathonlauf, verglichen. Die langen Laufstrecken gehören heute anscheinend zum letzten Abenteuer, in dem sich körperliche Grenzen erfahren und erleben lassen. Grenzen setzt dem Läufer anscheinend die sagenumwobene Fettverbrennung – daher ist sie ein ewiges Laufthema. Warum nur bekommen wir ab zwei Stunden Laufen Probleme? Das oben genannte Buch liefert eine mögliche Erklärung: Unsere Vorfahren lebten in Revieren mit bis zu 400 Quadratkilometern. Die längsten Stecken, die sie zurücklegen mussten, betrugen 30 bis 40 Kilometer. Nun stelle ich mir eine Gruppe von Jägern vor, die auf der Suche nach einem Beutetier ihr Revier durchstreiften. Endlich entdeckten sie eines, hetzten hinter ihm her, jagten es in einen Hinterhalt, erschlugen es mit einer steinernen Axt und zogen dann beutebeladen nach Hause zurück. Aus grauer Vorzeit haben sich unsere Muskeln demnach auf Strecken von 30 bis 35 Kilometern eingestellt. Aber, verspricht das Buch, „über diese Mauer kommt man hinweg. Der Stoffwechsel schaltet auf Fettverbrennung um.“

Bei dieser Darstellung stelle ich mir immer ein kleines Männchen vor, das eingangs meiner Muskelzelle sitzt. Das Handy zwischen Schulter und Ohr eingeklemmt, immer in Verbindung mit der Fettstoffwechsel-Schaltzentrale, gleichzeitig mit beiden Armen an einem langen Hebel hängend, nur noch die Zehenspitzen auf dem Boden. Nach Anweisung von oben versucht es krampfhaft, den langen Griff in Richtung des Schildes, auf dem mit leuchtend roten Buchstaben „Fettverbrennung“ steht, zu drehen. Ist dies geschafft, schaltet unser Verbrennungsmotor (Stoffwechsel) schließlich von Super bleifrei (Kohlenhydrate) auf Diesel (Fett) um.

Wunderbar!, möchte ich ausrufen. Habe ich endlich eine Erklärung: Bei meinem Frühjahrsmarathon wurden mir ab Kilometer 32 die Beine schwer. Zuerst verlor ich ungeheuer an Speed, um etwas später das Laufen ganz einzustellen. Ich erreichte das Ziel nicht. Man hielt mir vor, ein Weichei zu sein, nicht bereit, mich zu quälen. Allerdings, im Flieger zurück von Hamburg traf ich auf Leidensgenossen. Gedrückt und mit sorgenvoller Miene erzählten mir viele Hobbyläufer von ihrem Schicksal: Ab Kilometer 30 (manchmal etwas früher, manchmal später ) wurden die Energien knapp. Aber es ist ganz offensichtlich weniger eine Frage der Ehre durchzukommen. Es ist eine Frage des Schalters, den man finden muss, um Fett zu verbrennen.

In einem anderen Buch („Warum wir siegen wollen“) zeichnet Josef H. Reichholf ein anderes Bild. Er verbindet den Aufstieg unserer Vorfahren von Kletterern auf den Bäumen zu Läufern in der Savanne als einen entscheidenden Entwicklungsschritt. Denn damit erschloss sich der werdende Mensch das wichtige Nahrungsmittel Fleisch.

Wieder stelle ich mir meine Gruppe Jäger vor. Nach stundenlanger Suche, aller Wahrscheinlichkeit nach gehend, nicht laufend, entdeckten sie einen Kadaver oder als Anzeichen dafür kreisende Geier. Jetzt erst begannen sie zu laufen (na endlich). Ausdauernd zwar, doch eher konzentriert auf einen starken Schlussspurt. Je nach Ausgangspunkt ein 1.500- oder 5.000-Meter-Rennen. Es musste schnell gehen, um vor anderen potenziellen Anwärtern an der verlockenden Beute zu sein. Nach erfolgreicher Jagd, die im Grunde keine war, vielmehr ein Warten, Entdecken und schließlich ein langer Spurt, machen sich unsere Jäger wieder auf den Heimweg. Sie waren, bei gleicher Reviergröße wie beim ersten Beispiel, 30 Kilometer unterwegs. Mit ihren Energiereserven gingen sie sehr ökonomisch um.

Dies entspricht den Erkenntnissen, die wir heute über den Stoffwechsel haben. Unser Körper hat seit tausenden von Jahren gelernt, seine Energien nur sehr sparsam zu verbrauchen. Vom ersten Schritt des Laufens an sind wir bemüht, eher auf die freien Fettsäuren als Energielieferanten zurückzugreifen und die schnell zur Verfügung stehenden Kohlenhydratdepots zu schonen. Diese brauchen wir, wenn es ernst wird. Die Schonung der Notreserven gelingt umso besser, je langsamer wir laufen. Laufen wir schnell – oder gar zu schnell –, schaltet der Hebel auf Kohlenhydratverbrennung. Sind diese erschöpft, ist es erst einmal vorbei mit der Schalterei und damit auch mit dem Laufen. Wir werden langsamer und müssen gehen. Unsere Vorfahren verpassten dann die Beute oder wurden, bei Gefahr, selbst zu einer. In der heutigen Zeit müssen wir uns dagegen nur von den hoch gesteckten Marathonzielen verabschieden.

Fragen zu Laufen? kolumne@taz.de

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