: Hochwasser: Schifffahrt unschuldig
Wasserbauer: Ausbauten der Gegenwart nicht verantwortlich für Hochwasser. Erosion der Flussbettsohle muss vollends auf Null gebracht werden. Umweltschützer will Deiche an Engstellen zurücksetzen und Altarme öffnen um den Strom zu bremsen
von GERNOT KNÖDLER
Die gegenwärtigen Ausbauten der Elbe, insbesondere durch Buhnen, sind nicht verantwortlich für katastrophale Hochwässer wie jenes vom Sommer. Das ist die einhellige Meinung der Experten, die sich gestern zum 22. Elbschifffahrtstag in der Hamburger Handelskammer versammelt hatten. Ebenfalls waren sich die Wasserbauer, Elbschiffer und wenigen Umweltschützer darin einig, dass die Erosion des Flussbetts gestoppt werden müsse und Deiche an neuralgischen Stellen zurückverlegt werden sollten. Der Beschluss der Elbkonferenz, alle Baumaßnahmen auszusetzen, bis ihre Auswirkungen auf mögliches Hochwasser untersucht sind, stieß überwiegend auf Kritik.
Heinz-Josef Recker, Vorstandsmitglied des wirtschaftsfreundlichen Vereins zur Förderung des Elbstromgebiets, argumentierte, im 20. Jahrhundert seien die europäischen Flüsse lediglich im Niedrigwasserbereich ausgebaut worden, etwa durch Schwellen und Kopfbuhnen. Weil diese schnell überspült würden, hätten sie umso weniger Einfluss auf den Wasserstand, je höher die Fluten stiegen.
Buhnen sind Wälle, die senkrecht zur Fließrichtung in den Strom hineingebaut werden. Sie verengen die Strömung, wodurch sich das Flussbett vertieft – ein Prozess, der im Idealfall von selbst zum Erliegen kommt. Wie wenig mit modernen Bauten in die Ströme eingegriffen werde, illustrierte Recker an den Verkehrsprojekten Deutsche Einheit, die eine Tiefe der Elbfahrrinne im Binnenland von mindestens 160 Zentimentern an mindestens 345 Tagen im Jahr vorsehen. Der Vorgängerplan von 1959 habe 150 Zentimeter als Ziel gesetzt. Der ausstehende Ausbau der Elbe würde den Querschnitt des Stroms nur um ein Prozent vergrößern, sekundierte Hans-Heinrich Witte, Leiter der Bundesanstalt für Wasserbau (BAW). Die Deichrückverlegung bei Lentzen habe ihn dagegen um 200 Prozent vergrößert.
Karl-Heinz Jährling vom Verein Biosphärenreservat Flusslandschaft Mittlere Elbe wollte ihm nicht widersprechen. Er forderte seine Zuhörer auf, in einem größeren Zeithorizont zu denken. Die Elbe habe 86,4 Prozent ihrer Überflutungsfläche in den vergangenen 800 Jahren verloren. Altarme seien abgetrennt und der Strom eingedeicht worden.
Das Wasser sei dadurch auf einen immer engeren Raum zusammengedrängt worden, so dass es immer höher auflaufen müsse. „Die Elbe ist kein natürlicher Fluss“, rief Jährling ins Gedächtnis. Trotzdem sei er einer der naturnahesten in Mitteleuropa. Jährling verlangte Rückdeichungen und die Öffnung von Altarmen, wie das in Sachsen-Anhalt bereits geplant sei. Die Vertreter der Wirtschaft hatten nichts dagegen.
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