Ein Hauch von Kollektiv

Neu auf dem Berliner artforum (2): Frisch von der Hochschule kommen die jungen Maler, mit denen Matthias Kleindienst in seiner Leipziger Galerie arbeitet. Vom Konflikt zwischen Mallust und Ideologie ist ihnen nur melancholischer Zweifel geblieben

von KATRIN BETTINA MÜLLER

Auf dem Weg zu Halle 23 ist es schon viermal passiert: Man begrüßt Bekannte und gleich kommt die Frage: „Ist das nicht schön, endlich wieder viel Malerei auf der Messe?“ Das Motiv einer Almhütte, meint eine Freundin, überstrahlt in ihrem Bildgedächtnis nach vier Stunden Messe alles. Andere ziehen die documenta als Vergleich heran und finden es hier gemütlicher.

Dabei ist das Gedränge groß am Tag der Eröffnung. Überall parken Kinderwagen. Junge Maler schaukeln ihre gerade zur Welt gekommenen Kinder im Arm neben Bildern, deren Farbe auch noch nicht lange trocken ist. Ältere Paare schieben sich daran vorbei in die kleine Koje der Galerie Kleindienst aus Leipzig, die an der Messe in Berlin zum ersten Mal teilnimmt. Fast alle reden mit dem Galeristen und blättern in den Katalogen, die auf einem Quadratmeter Tisch Kante an Kante liegen. Jemand bringt Bier. Die Preise der Bilder von David Schnell und Matthias Weischer, die Kleindienst auf der Messe vorstellt, liegen deutlich unter denen von Neo Rauch, dem heute bekanntesten Maler aus Leipzig. Aber beide haben, weiß Matthias Kleindienst, bei Rauch als Assistenten gearbeitet.

Kleindienst zeigt nicht nur Malerei, sondern Malerei mit einer akademischen Tradition, die ungeahnte Kraft zur Verwandlung in Pop bewiesen hat. Als er seine Galerie Mitte der Neunzigerjahre mit Ausstellungen von Wolfgang Mattheuer, Volker Stelzmann und Walter Libuda eröffnete, galt das Zusammenspiel von Gegenständlichkeit und metaphorischer Mehrdeutigkeit noch als ein Erbe des Ostens, geprägt von langjähriger Erfahrung im Umgang mit getarnten Idiomen. Schnell und Weischer, beide aus Nordrhein-Westfalen kommend, begannen 1995 erst in Leipzig an der Hochschule für Grafik und Buchkunst zu studieren. Vom Konflikt zwischen Mallust und ideologischer Belastung ist nur der Stolz auf das Handwerk geblieben und ein Hang zum melancholischen Zweifel.

In den Landschaften von David Schnell sind die optischen Hilfslinien der Zentralperspektive noch immer sichtbar unter der Malerei. Wie mit dem Lineal gezogen wirken seine Baumschulen und Rapsfelder, stereometrisch geschlossene Blöcke. Wege schneiden mit exakter Kantenführung hinein. Schnell legt in diesem Durchscheinen der Konstruktion nicht nur das Akademische, an der Leinwand Gebaute der Bilder offen; sondern ebenso gut sind sie als Widerschein einer Wirklichkeit lesbar, deren Ingenieure freies Zeichnen nie gelernt haben. Schematisierung, Rationalisierung, Ökonomie: Der Blick hält sich nicht mit Kleinigkeiten auf, die Planung ebenso wenig. Das sind Landschaften für Statistiker, Roboter und Selbstmörder.

Auch die Interieurs von Matthias Weischer gleichen verlassenen Bühnenbildern existenzialistischer Dramen. Da gibt es eine Flurecke, ein Zimmer mit einem roten Vorhang und einem abblätternden Wandbild und ein Zimmer, in dem ein Kletterseil von der Decke hängt. Alle Räume sind extrem abgeschlossen; an den Wänden überlagern sich die Anstriche wie die Farben in Weischers Bild. Aus den Spuren, die Benutzer in diesen Zimmern hinterlassen haben, kann man sich Geschichten zusammensetzen von langsamem Niedergang und Aufgabe.

Die jungen Maler der Galerie umgibt ein Hauch von Kollektiv. Fünf von ihnen stellen in Frankfurt, wo die Galerie schon öfters auf der Messe vertreten war, im Foyer der IG Metall aus. „Im Kollektiv vertreten, erhält das Selbstbewusstsein, jetzt Maler zu sein, den zeitgemäß notwendigen offensiven, vielleicht programmatischen Nachdruck: keine Furcht vor großen Formaten und der Körperlichkeit der Farbe“, schreibt Anja Hilgert im Katalog. Zur Gruppe gehört auch Tilo Baumgärtel, der, von der Galerie vorgeschlagen, den Kunstpreis der Sachsen LB erhielt und eine Ausstellung im Museum der Bildenden Künste Leipzig. So ein Erfolg bestätigt die Galerie, die einmal im Jahr Arbeiten von Studierenden der Hochschule zeigt, in ihrem Programm junger Künstler.