: Eine Frage der Ausrichtung
In der rot-roten Koalition beginnen die Verhandlungen um das neue Schulgesetz. Streit gibt es über leistungsorientierte Gruppen in der Grundschule und das Thema Sitzenbleiben, beim Religionsunterricht aber nähern sich die Parteien an
Gerade haben in der rot-roten Koalition die Verhandlungen um das neue Schulgesetz begonnen – und schon deutet sich Streit an. Denn die PDS will die „Ausrichtung des Gesetzes korrigieren“, wie die schulpolitische Sprecherin Siglinde Schaub es nennt. „Die Auslese muss verringert, Chancengleichheit hergestellt werden.“ Deshalb wird zum Beispiel die so genannte äußere Leistungsdifferenzierung in der Grundschule, die stundenweise Aufteilung der Fünft- und Sechstklässler in leistungstarke und leistungsschwache Gruppen, für Zündstoff sorgen.
Dennoch sind Schaub und ihre SPD-Kollegin Felicitas Tesch optimistisch, dass das Gesetz noch 2001 ins Abgeordnetenhaus eingebracht werden kann und zum kommenden Schuljahr in Kraft tritt. „In ganz vielen Bereichen herrscht Übereinstimmung“, sagt Tesch. Über ein neues Schulgesetz wird in Berlin seit Jahren gestritten, durch die Ergebnisse der Pisa-Studie ist es notwendiger denn je.
Über die Details verhandelt nun eine Arbeitsgruppe, in der PDS, SPD und Schulverwaltung vertreten sind. Basis der Diskussion ist im Wesentlichen ein Entwurf, der bereits im März 2001 entstanden ist. Damals regierte noch die große Koalition Berlin. Sie hatte es – trotz zweier Anläufe – nicht geschafft, sich auf ein neues Schulgesetz zu einigen.
„Kernpunkt der Reform ist nach wie vor eine größere Eigenverantwortung der Schulen“, sagt die bildungspolitische Sprecherin der SPD. Die Schulleiter sollen künftig von der Schulkonferenz, in der Lehrer, Eltern und Schüler vertreten sind, gewählt werden. „Für welchen Zeitraum, ist aber noch offen“, sagt Tesch. Zudem sollen die Schulen über einen Teil ihres Haushalts selbst bestimmen können und verpflichtet werden, ihr pädagogisches Konzept und Schulprogramm festzulegen. Der PDS geht das nicht weit genug. „Wir wollen, dass Schulprogramme nicht mehr genehmigungspflichtig sind“, sagt Schaub.
Eingeführt werden soll, so sieht es der Entwurf vor, eine schulartenübergreifende Prüfung nach der 10. Klasse in Deutsch, Mathematik und einer Fremdsprache. „Von einer zentralen Prüfung bin ich nicht begeistert“, sagt Schaub, hält aber einen Kompromiss für möglich. Die von Schulsenator Böger jüngst angekündigte Schulzeitverkürzung auf zwölfeinhalb Jahre unterstützt die PDS, bei der Einführung des Zentralabiturs drängt sie auf einen Kompromiss. „Die Hälfte sollte zentral bestimmt, die andere Hälfte den Schulen überlassen werden“, so die PDS-Politikerin. Auch Böger schwebt keine Hardcore-Variante des Zentralabiturs vor.
Die Schulanfangsphase wollen SPD und PDS flexibilisieren. Künftig sollen Kinder schon mit fünfeinhalb Jahren eingeschult werden können, zudem soll der Stichtag für die Einschulung nach hinten verlegt werden. Alle Kinder, die bis zum 30. September sechs Jahre alt werden, sollen bereits im Sommer eingeschult werde. Bisher gilt der 30. Juni als Stichtag. So wird das durchschnittliche Einschulungsalter verringert. Die Klassenstufen 1 und 2 sollen zusammengefasst werden. Ob die Kinder darin 1, 2 oder 3 Jahre verweilen, soll flexibel gehandhabt werden. „So können gute Startbedingungen für alle geschaffen werden“, sagt Schaub.
Die sechsjährige Grundschule wird beibehalten, die Schüler sollen aber in Deutsch, Englisch und Mathematik in der 5. und 6. Klasse je nach Leistung in verschiedene Gruppen aufgeteilt. Das wird bereits jetzt in vielen Schulen praktiziert, ist der PDS aber ein Dorn im Auge. „So wird das Prinzip Auslese fortgesetzt“, sagt Schaub. „Das muss weg.“ Pisa habe gezeigt, dass genau das Gegenteil sinnvoll sei. Für den SPD-Schulsenator ist aber die so genannte äußere Leistungsdifferenzierung ein Kernstück seiner Grundschulreform. Hart verhandelt werden wird auch beim Thema Sitzenbleiben, das die PDS ansprechen will. „Das sollte man nur in den Fällen anwenden, wo es wirklich hilft“, sagt Schaub. Außerdem will die PDS-Politikerin vergleichbare Rahmenpläne nicht mehr für Schularten, sondern nur noch für Altersstufen einführen, was die SPD nicht begeistern dürfte.
Eine Annäherung der Fraktionen und des Senators dagegen deutet sich beim heiß umstrittenen Thema Religionsunterricht an. Geht es nach den rot-roten Schulpolitikerinnen, soll – ähnlich wie in Brandenburg – ein bekenntnisneutrales Fach eingeführt werden, das über Religionen, Ethik und Aspekte der Lebensgestaltung informiert. Die Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften könnten weiterhin ihren Unterricht in den Schulen anbieten.
Umstritten ist allerdings, ob es wie in Brandenburg die Möglichkeit geben wird, sich von dem neuen Fach beurlauben zu lassen, um nur am Unterricht der Kirchen oder des Humanistischen Verbandes teilzunehmen. Die PDS-Bildungsexpertin Schaub lehnt eine Befreiung ab: „Bekennender Religionsunterricht ist kein Ersatz für diesen wertevermittelnden Unterricht.“ Die SPD dagegen hält die Befreiung – auch mit Blick auf den langwierigen Rechtsstreit in Brandenburg – für unumgänglich. SABINE AM ORDE
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