: Nach dem Goldrausch
Wenn es um die Herstellung von Modellen in Tonerde geht oder das Performen von Bananensplittern, künstlert es sich in der Provinz am besten: In der Europäischen Kunstakademie in Trier treffen sich Künstler und solche, die das in Ruhe werden wollen
Die größte freie Kunstakademie in Europa liegt direkt am Moselufer. Gesäumt von Weinbergen in der ältesten Stadt Deutschlands. Seit 25 Jahren fühlt sich die „Europäische Akademie für Bildende Kunst“ in Trier der Devise „Kunst mit Kenntnis“ verpflichtet. In den Werkstätten und Ateliers sollen Fähigkeiten in der Kunstausübung vermittelt werden und Künstler die Chance der Zusammenarbeit wahrnehmen.
Der Südwestzipfel Deutschlands bedeutet Provinz – und ist gerade als solcher gefragt. Die Besucher aus den Zentren, aus München, Frankfurt oder Berlin, kommen gerne in die Peripherie. Wie eine Gruppe von Architekturstudenten der Technischen Universität, die 1987 zehn Jahre nach Gründung des Hauses die damals beengte räumliche Ausstattung bemerkten und kurzerhand einen Entwurf zu Erweiterungs- und Neubauten machten. Schnell war die Nachfrage in den ersten Jahren gewachsen. Der Martinerhof im westlichen Trierer Stadtteil Pallien bot längst nicht mehr ausreichend Platz für Ateliers und Ausstellungsansprüche. Nachdem zunächst die nah gelegene Fachhochschule, eine ehemalige Rollladenfabrik und die Klassenpavillons einer Gehörlosenschule genutzt wurden, öffnete die Akademie am 14. Juli 1993 ihre Tore auf dem einstigen Schlachthof in der Aachener Straße. Die denkmalgeschützten Gebäude kamen der Nutzung als Kunstakademie gelegen. Überaus hoch sind nach wie vor die Decken, Licht flutet durch großzügig gebrochene Fenster in Werkstätten und Präsentationsräume. In ihrer Weitläufigkeit erinnern die Mal- und Zeichensäle an ein Loft der Jahrhundertwende.
Wer hier an die Mosel reist, will in Ruhe Künstler werden oder sein. Ein variabel aufgebautes Kurssystem offeriert den viertägigen Kurzbesuch wie den mehrwöchigem Studienaufenthalt. Weiterbildung, Vorbereitungskurse zur Erstellung von Bewerbungsmappen an Kunsthochschulen und Intensivstudiengänge finden sich im aktuellen Angebot; die Nähe zu Luxemburg, Frankreich und Belgien gibt einen Hinweis auf die Internationalität des Hauses. 2.000 Kunstbeflissene reisten im vergangenen Jahr an, um einen der 170 angebotenen Kurse zu belegen. 60 Dozierende kümmerten sich um ihre Ausbildung. Das alles sind Spitzenwerte in Europa. Attraktiv im Akademieprogramm dürften außerdem die Seminare im europäischen Ausland sein, in Morhange, Barcelona und Locarno. Schließlich trägt man Europa im Namen.
Sieben Jahre ist mittlerweile Dr. Gabriele Lohberg als künstlerische Leiterin und Geschäftsführerin im Amt. Sie trat die Nachfolge von Prof. Erich Kraemer an, der die Akademie seinerzeit gegründet hatte und 1994 verstarb. Nach kommissarisch geführtem Übergang brachte Lohberg besonders Erfahrung aus dem museumspolitischen Tagesgeschäft ein. Sie war zuvor Gründungsdirektorin des Kirchner Museums im schweizerischen Davos, hatte dort Ausstellungen zur „Brücke“ und dem „Blauen Reiter“ und über Max Ernst im Kölner Museum Ludwig konzipiert und lange als Publizistin im Kunstmanagement gearbeitet. Lohberg lässt nun eine künstlerische Technik die jeweilige Saison dominieren.
Im Jubiläumsjahr 2002 gibt mittlerweile eine 50-seitige Broschüre Auskunft über Angebot und Termine. Ende September gilt es zum Beispiel zu vermitteln, wie man ausgewählte Modelle in Tonerde gestaltet. Hans Gassman übernimmt diesen Kurs und bringt dabei einige Erfahrung mit: Er ist Gastprofessor des Blue Ridge Mountain Vollage of Crafts and Art in den USA. Fast zur gleichen Zeit lädt Claus Bach ein, bei ihm Schwarzweißfotografie zu studieren. Bach hat Ende der 80er die „Günther-Jahn-Bach-Edition“ und die Künstlerzeitschrift Reizwolf herausgegeben und hat seit acht Jahren einen Lehrauftrag an der Bauhaus Universität Weimar.
Zu den Dozenten gehören Multimedia-Gestalter, Lichtbild-Künstler und Comic-Illustratoren. Die Vielfalt an Techniken fällt auf: von Gusstechniken über Schweißkonstruktionen bis hin zu Computeranimation. Manchmal werden die Künste gemixt wie beim katalanischen Pianisten und Performer Josep Maria Balanyà und seinem Workshop „Kratzklang – Musik, Zeichnung und Radierung“.
Unter der Regie des Bildhauers Rolf Viva entsteht ein Skulpturenweg durch die Stadt über den Fluss zur Akademie. Hier lehrt die experimentelle Fotografin Andrea Böning ebenso wie der Klang- und Videokünstler Matthias Deumlich, der gern gesprochene Klangfetzen collagiert und beispielsweise vor zwei Jahren die Installation „Wasserfiligrane“ im Skulpturenpark des Max-Delbrück-Centrums Berlin präsentierte. Der Kölner Bildhauer Hans-Peter Webel arbeitet mit Gips und Stuck und bietet als Dozent „zufällige Plastik“ an.
Die Kurse begleiten Jahresausstellungen der dozierenden Künstler. Außerdem gibt es Einzelausstellungen: Thomas Baumgärtel, der „Bananensprayer“, zeigte 2000 die Performance „Bananensplitter“ gemeinsam mit Pavel Schmitt. Auf diese Weise markiert Baumgärtel seit Jahren Kunstorte mit Bananenmotiven. Diesmal an der Aktion beteiligt war Schlager-Barde Guildo Horn, wohl der prominenteste Stadtsohn Triers seit Karl Marx. Bemerkenswert auch eine der jüngsten Ausstellungen: „Styx-Projektionen“, für die der Amerikaner Bill Viola unter dem Titel „The Reflecting Pool“ Körperbildern mit phantomhaften Spiegelungen an den Wänden gekoppelt hat. Entsprechend des mythologischen Hintergrunds – der Fluss „Styxx“ steht bei den alten Griechen für die Grenze zwischen Leben und Unterwelt – entstehen Figuren, die in ihrer flackernden Erscheinung an den Übergang von Realität und Traum erinnern.
Es ist diese Mischung aus professionellen Kursen und gut konzipierten Ausstellungen, die zur Etablierung der Akademie auf dem europäischen Fortbildungsmarkt bildender Kunst beigetragen hat. In den 25 Jahren ihres Bestehens wurde stets das Gespräch gepflegt – zwischen Lehrenden und Lernenden und den Künstlern untereinander. Darauf verweist auch der Kunstdialog Dresden–Trier, ein Ausstellungsaustausch der „Europäischen Akademie für Bildende Kunst“ und dem Dresdner Künstlerbund – vor einiger Zeit im Kulturhaus Tuchfabrik Trier und jetzt im Festspielhaus Dresden-Hellerau. OLIVER RUF
Bis zum 6. Oktober findet in der Europäischen Kunstakademie Trier die Ausstellung „spektrum kunstlandschaft“ statt
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