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Ein anderes Ich

8. Preis des taz-Schreibwettbewerbs „Eros auf Reisen“

von ROSEMARIE STOFFEL

Klara wischte mit heftigen Bewegungen die Schminke aus ihrem Gesicht. Bürstete die halblangen Haare glatt. Streifte das kurze bunte Kleid mit den Spaghettiträgern vom Körper und warf es mit spitzen Fingern in den Papierkorb. Sie blickte bedauernd auf die rote Seidenunterwäsche und warf sie zu dem Kleid. Sie sah in den Spiegel. Eine nicht mehr ganz junge Frau, leicht gebräunt mit blauen Augen, einer etwas zu großen Nase, leicht nach unten geneigten Mundwinkeln, sah sie aufmerksam an. Sie betrachtete ihren nackten Körper. Sie streckte sich die Zunge heraus und ein gequältes Lachen löste sich aus ihrer Kehle. Sie tappte mit bloßen Füßen ins Nebenzimmer und sah durch die geöffnete Balkontür, sah das Meer träge im hellen Somenschein liegen. Abschied nehmend löste sich eine Träne aus ihren weit geöffneten Augen. Sie fing sie mit der Zunge auf. Dann zog sie die weiße, langweilige Unterwäsche an, das hellgraue, lange, weite Kleid mit den halblangen Ärmeln, die groben geschlossenen Schuhe. Vierzehn Tage war sie hier gewesen. Losgelöst von ihrem Mann, ihren Kindern, ihrem Gefängnis. „Was willst du vierzehn Tage alleine auf Teneriffa?“, hatte ihr Mann gefragt. „Ich will nicht, dass du fliegst.“ Dieser Satz war ausschlaggebend gewesen. Ihr Trotz regte sich. „Das ist mir egal, ich fliege.“

Auf Teneriffa im Hotel angekommen, stand sie auf dem Balkon und sah auf den Strand und das Meer. Am liebsten hätte sie einen Freudenschrei ausgestoßen Sie schnappte ihre Tasche und lief die drei Treppen hinunter. Einer spontanen Eingebung folgend kaufte sie sich ein kurzes Sommerkleid, hohe, dünne Sandalen, Seidenunterwäsche. Beim Friseur ließ sie sich die Haare in Locken legen, kaufte sich Lippenstift, Lidschatten usw. Wieder im Hotel, zog sie die neuen Sachen an, schminkte sich. Sie lächelte sich fast bewundernd zu. Sie betrat den Speisesaal etwas unsicher auf den ungewohnten hohen Schuhen, bemerkte die verstohlenen Blicke, die ihr folgten. Der Mann an ihrem Tisch betrachtete Klara mit interessierten Blicken. „Sind sie auch alleine hier?“ Klara nickte. „Wollen wir nach dem Essen zusammen in die Bar gehen? Es gibt eine Travestieshow.“ Klara zögerte, dann sagte sie: „Ja.“ Die Show war gut und später tanzten sie. Klara fühlte sich sehr wohl, auch wenn sie dachte, manchmal zu laut zu lachen. Aber hier schien das niemanden zu stören. Pedro, wie sich ihr Tischnachbar vorgestellt hatte, bot ihr eine Zigarette an. Er gab ihr Feuer und hielt für kurze Zeit ihre Hand fest. In Klara stieg eine ungewohnte Wärme auf. Hastig entzog sie ihm ihre Hand.

Später brachte Pedro sie zu ihrem Zimmer. Auf dem Weg dorthin legte er seinen Arm um ihre Taille. Vor der Zimmertür sah er sie mit begehrlichem Blick an. Sie sagte schnell: „Danke für den schönen Abend“, ging hinein und schloss die Tür. Hinter der Tür bieb sie schwer atmend stehen. Sie trat auf den Balkon. Der leichte Wind spielte mit ihren Haaren, kühlte ihr erhitztes Gesicht. Der Mond glitzerte auf dem Meer. Von Ferne hörte sie leises, verliebtes Lachen.

Klara und Pedro verbrachten die Urlaubstage gemeinsam. Ein Ausflug in den Norden Teneriffas stand auch auf dem Programm. Eine Fahrt auf kleinen schmalen Straßen, umgeben von hohen Bergen, verbrannter Landschaft. Vereinzelt kleine grüne Pflanzen. Es war wie ein Wunder, dass auch in verbrannter Erde immer wieder Leben entsteht. Pedros Hand lag auf Klaras Knie. Als sie über die höchste Stelle fuhren und die Wolken unter ihnen lagen, wie ein weißer undurchdringlicher Teppich, war Klara stumm vor Entzücken. Unter den Wolken zeigte sich ihnen unvermutet eine grüne Landschaft mit Blumen und Bäumen. „So muss sich Dante das Paradies vorgestellt haben“, flüsterte Klara leise. „Ja, hier mit dir ist das Paradies. Ich liebe dich.“ Pedro nahm sie in den Arm und küsste sie. An diesem Abend trennten sie sich nicht. Klara war glücklich wie noch nie in ihrem Leben.

Klara verließ das Zimmer und ging in die Hotelhalle. Pedro stand dort und sah ungeduldig auf die Uhr. Sein Blick streifte Klara, aber er erkannte sie nicht. Klara ging mit gesenktem Kopf und schleppenden Schritten, den Koffer hinter sich herziehend, aus dem Hotel.

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