ulrike winkelmann über Golf: Mal eben zu schnell
Das Hirn hat den Kampf gegen den Bauch verloren – entschieden hat ihn die moderne Telekommunikation
Mein Freund Clemens hat es, wie so oft, auf den etwas komplexen Punkt gebracht: „Die Höhe der Hemmschwellen, die das Medium aufbaut, steht im umgekehrten Verhältnis zur Größe der Katastrophen, die dadurch verursacht werden.“ Was er meinte: Je leichter es sich mailt, desto verheerender die Folgen. Oder auch: Die Mailerei ist unser aller Unglück. Moderne Telekommunikation ist einfach zu riskant. Vergesst diese albernen Geschichten von Leuten, die ihre Liebe digital gefunden haben.
Clemens weiß, wovon er spricht. Seine ganze Gang redet noch heute davon, wie die Exfreundin seines Freundes in seinem Computer herumgeschnüffelt und die gesamte Korrespondenz zwischen ihm und seiner Affäre erstens gefunden und zweitens an alle herumgemailt hat, die in seinem Adressbuch gespeichert waren. „Hätten die beiden sich per Papierpost ausgetauscht, hätte sie die vermutlich nicht kopiert und als Drucksache versendet“, so Clemens. Und wenigstens hätte sie nur ihre und nicht auch seine Briefe gefunden.
Nun wissen irgendwie alle, dass man sich gerade mit Kurzzeitliebschaften auch mal leichtsinnige Mails schickt. Aber mit der Vervielfältigungsoption haben wir noch nicht umzugehen gelernt, scheint’s. Darüber zu plaudern, wer in der Kneipe knutschend mit Hand unterm T-Shirt gesichtet wurde – dafür gibt es Worte, Gesichtsausdrücke und Umgangsweisen. Aber was tun, wenn man die Begeisterungsstürme über sexuelle Verfahrensweisen eines guten Freundes auf dem Monitor hat?
Das Katastrophische im Mailen steckt im „mal eben“. Mal eben wollte die Freundin meiner Freundin Mariella auf die Einladung reagieren, die an die Doktorandinnen-Combo herumgemailt wurde. Eine kleine Intimität unterbringen, wer mit wem, und wer sich dabei, haha, ja gar nicht mit Ruhm bekleckert hat, zumal die Sache mit der Verhütung … pruuuust, Grinse-Icon (;-)). Und dann nicht auf „reply“ an Mariella, sondern auf „reply all“ gedrückt, aus Versehen. Und nicht nur Mariella, sondern auch eine ausgesuchte Clique von Ethnologinnen in aller Welt wusste Bescheid. Und sprach beim Jahrestreffen nicht mehr mit ihr. Angeblich ist sie aus der Ethnologie jetzt in die Marktforschung gewechselt.
Noch so ein „mal eben“: bloß die kleinen Fickbildchen an drei ausgesuchte Kumpels via Intranet verschicken. Blöd, dass der neue Mitarbeiter dazu den Mailverteiler des gesamten Public-Relations-Netzwerks genutzt hat und jetzt nicht nur die Pressesprecherin des Kunden, sondern auch die ganze Agentur darüber lacht, was der Junge unternimmt, um sich und seinen Kollegen die Arbeitszeit zu verschönern.
Husch, sind die entsetzlichen Nachrichten schon raus. Dem Kollegen zweideutige Komplimente an seinen Arbeitsplatz schicken: Niemals hätte man so einen peinlichen Schmarrn zu Papier gebracht! Am Telefon wird „nicht so gemeinter“ Krempel nur in nächtlichen Sitzungen und nur der besten Freundin erzählt und kann am nächsten Tag wieder entschuldigt werden. Überhaupt, telefonieren: Einen Telefonhörer kann man wenigstens im letzten Augenblick auf die Gabel werfen!
Wobei das bei Handys auch schon so ist, dass der Angerufene bzw. -gebetete schon nach dem ersten Mal Tuten wissen wird, dass man es wieder nicht ausgehalten hat: Unter „entgangene Anrufe“ ist die Nummer gespeichert, und deshalb ist bei diesen bescheuerten Dingern auch der Nichtanruf wie ein Anruf. So was schmeißt die ganze Wer-wird-zuerst-weich-Ökonomie durcheinander.
Und nicht, dass man früher allen Ernstes schon einmal gewartet hätte, bis der Posteinsammelwagen kam, auf dass man den Unglücksbrief doch wieder aus dem Briefkasten zurückbekam. Aber immerhin war es möglich! Außerdem hat man Unglücksbriefe doch frühzeitig und selbst schon mit Adresse und Marke drauf als Unglücksbriefe erkannt und sie nie und nimmer abgeschickt, sondern noch besser versteckt als das Tagebuch. Ganz anders mit Mails. Ein Zeigefingerzucken, und sie sind weg und schon da, und niemand, niemand! wirft sich ihnen mehr in den Weg.
Mails sind das Begräbnis der verhinderten Geständnisse, das Ende der Ära uneingeworfener Briefe, der Untergang des keuschen Zauderns. Mit dem Mausklick wurde ein ganz wichtiger Moment abgeschafft: Der, da das Hirn einen letzten Versuch startet, das Herz oder den Bauch oder wer auch immer für den Unsinn im Leben zuständig ist, am Handeln zu hindern. Die moderne Telekommunikation hat mit der Romantik das Gleiche gemacht wie mit der Börse: Ein kurzfristiges Aufblähen des Möglichen, gefolgt von einem Niedergang, der auch die alten Werte mit sich reißt. Wenn Liebe eine Erfindung des 19. Jahrhunderts ist, dann darf man eben auch nur mit den Medien des 19. Jahrhunderts darüber kommunizieren. So einfach ist das.
Fragen zu Golf?kolumne@taz.de
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