: Champions League winkt
Zum 115. Geburtstag des HSV wünschen sich viele eine Trennung vom historischen Datenmüll, um befreit in die Zukunft zu starten. Der 3:2-Erfolg gegen Stuttgart war hingegen wenig visionär
von OKE GÖTTLICH
Werner Hackmann weigert sich partout, sich über die gegenwärtige Lage hinaus Gedanken zur Zukunft des HSV zu machen. Mehrmals nach seinen Visionen für den Verein für die kommenden Jahre befragt, haucht der Vorstandsvorsitzende nur etwas von „Auswärtssiegen“ und entgeht weiterhin der Gefahr, als Ideenstifter entlarvt zu werden. Dabei hätte das gestern begangene 115. Jubiläum des HSV doch allen Anlass dazu geboten, eine wohlfeile Äußerung über Hoffnungen und Wünsche zu diktieren.
Seinem Trainer Kurt Jara kommt diese Zurückhaltung entgegen. Schon vor der Saison deutete der Österreicher an, das in Hamburg weniger an die Vergangenheit, als an die Zukunft gedacht werden sollte. „Die damaligen Erfolge liegen den heutigen Spielern schon manchmal etwas schwer im Kopf“, behauptet Jara. Und jeder, der den HSV selbst vor heimischer Kulisse gegen Teams wie Hannover, Kaiserslautern und Stuttgart (nehmen wir die Niederlage gegen die Bayern mal aus) gesehen hat, weiß, wovon Jara spricht. Zwar reichte es für den HSV gegen Stuttgart zum dritten Erfolg im vierten Heimspiel, von spielerischer Evolution hingegen war beim 3:2 abermals nur wenig zu sehen.
Nach einer dynamischen ersten Hälfte mit vier Toren zum 2:2-Pausenstand merkte die Mehrheit der HSV-Fans im zweiten Durchgang schnell, warum einige Lautstarke bereits wieder „Jara raus“ forderten. Zu verhalten gaben sie den Angriffsbemühungen der spielwitzigen Stuttgarter nach. Als Jara dann zur Aktivierung der Offensive den eifrigen Abwehrspieler Stephan Kling zugunsten des Österreichers Richard Kitzbichler auswechselte, zeigte sich die Explosivität, die den Arbeitsplatz beim Hamburger SV gerade so unsicher macht. Ein gnadenloses Pfeifkonzert schallte durch das Stadion, welches Jara nur süffisant kommentierte: „Ich wusste gar nicht, dass Stephan Kling eine so schlechte Leistung abgeliefert hat.“
Hatte der Jungspund auch nicht. Aber mit einem glücklichen 3:2 im Rücken lässt sich wieder scherzen. Denn Jara hatte wieder richtig gepokert. Der gerade genesene Mehdi Mahdavikia wurde entgegen allen Erwartungen nicht frühzeitig vom Platz genommen, sondern machte in der entscheidenden Situation das, was Sportchef Beiersdorfer „Mut zum Risiko“ nennen sollte. Der Iraner dribbelte in der 86. Minute an der Strafraumgrenze entlang, entdeckte Romeo und der ließ den HSV mit seinem zweiten Treffer wieder kräftig durchatmen.
So tief, dass Jara den traditionell erfolgshungrigen HSV-Fans eine Vision zum Nachdenken mit auf den Weg geben konnte: „Die Meisterschale kann ich mir heuer nicht vorstellen.“ Aber momentan sind es nur drei Punkte Rückstand auf einen Champions League-Platz.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen