: Lange Rede, großer Frust
Wie immer, wenn der Pfeifenmann schuld ist, ist das nur die eine Seite der Medaille. Hertha BSC verliert in einem ideenlosen Spiel auswärts mit 0:1 gegen 1860 München
Die schlechte Nachricht kam um halb fünf, aber nicht wirklich überraschend. „Liebe Fußballfans, die Polizei bittet, heute auf den Besuch des Oktoberfests zu verzichten, da bereits alle Zelte wegen Überfüllung geschlossen sind.“ Na prima, dachte fan sich: Endlich mal Herbstsonne statt Dauerregen, kurz zum Warmfeiern ins Stadion und dann ordentlich Volksfest. Pustekuchen, alles voll. Wo sollten die Hertha-Frösche nun hin mit ihrem Frust über diesen verschenkten Samstag? Wo sollten die Sechziger diesen 1:0-Sieg der Marke Dusel-Bayern begießen? Auf solche Fragen haben Stadionsprecher natürlich nie eine Antwort.
Gut, dass es noch Trainer, Manager und andere Gernredner gibt, die einem die wunderliche Fußballwelt ein bisschen erklären. Vorneweg natürlich Dieter Hoeneß, der Hertha-Boss. Fand nach vielen vielen Worten den kleinsten gemeinsamen Verlierer-Nenner: Der Schiri ist schuld. „Wir haben heute 11 gegen 17 gespielt: 11 Sechziger, 3 Auswechselspieler und, tja, gegen 3 im gelben Hemd“, so die eigenwillige Arithmetik des Managers. Und dann begann er aufzuzählen: das Münchner Tor in der 15. Minute, bei dem „Zecke“ Neuendorf den Ball wegschlug und 60-Stürmer Markus Schroth gegen die Hand schoss, von wo aus der Ball ins Hertha-Tor trudelte; der nicht gegebene Elfmeter, als 60-Torwart Simon Jentzsch Neuendorf von den Beinen holte; das nicht gegebene Abseitstor von Bartosz Karwan; der nicht gegebene Treffer per Fallrückzieher nach vorherigem Allerwelts-Aufstützen gegen Harald Cerny – Hoeneß musste lange reden, bis der ganze Frust raus war.
Und beleidigt wurde einer seiner Spieler auch noch: „Der Anklam [einer der Schiedsrichterassistenten, d. Red.] hat zu einem nach den Protesten nach dem 0:1 gesagt: Verpiss dich!“ Eine Anschuldigung, die Schiedsrichter Peter Gagelmann schlicht als falsch zurückwies.
Verständlich, der Frust der Berliner: zuletzt zwei Siege in Folge, auch die recht zahmen Münchner Löwen in Halbzeit eins dominiert, dann dieses Flippertor und die gesammelten Schiedsrichter-Merkwürdigkeiten inklusive gelber Mecker-Karten für Kiraly und Marcelinho. Aber wie immer, wenn der Pfeifenmann schuld ist, ist das nur die eine Seite der Medaille. Zugegeben, dass es „schwierig ist, das Niveau zu halten, wenn man das Gefühl hat, dass hier nicht alles objektiv zugeht“ (Hoeneß), aber die Erkenntnis, dass Hertha in Durchgang eins „fast perfekt“ gespielt hatte, dass „nur eine Mannschaft auf dem Platz war“, die hatte Hoeneß exklusiv.
Berlins Taktik war klar, simpel und hörte auf den Namen Marcelinho. Doch je mehr Thorben Hoffmann den Brasilianer aus dem Spiel nehmen konnte (wie auf der Gegenseite Thorben Marx den Löwen-Regisseur Thomas Häßler), umso mehr schwanden die Ideen aus dem Hertha-Spiel, entwickelte sich ein über weite Strecken unansehnliches Immer-schön-durch-die-Mitte-Gestöpsel der Kollegen Goor, Dardai & Co.
Symptomatisch eine Szene in Minute 56: Kein Berliner reißt sich um den Spielaufbau, mit der Folge, dass sich Torhüter Kiraly versucht und der Ball nach langem Flug im Seitenaus landet. Dieter Hoeneß flüchtete zeitweise in die Kabine vor den Premiere-Bildschirm, wollte dann aber doch nicht Bayer gegen Bayern sehen.
Fehlt natürlich noch der Blick in die Abteilung Aberglaube. Huub Stevens, zur Abwechselung mal wieder im noch sieglosen Business-Look, brummte „Kein Kommentar“, und auch Peter Pacult gab sein Erfolgsgeheimnis nicht selbst preis.
Aber die Kollegen von der Stadionzeitung fanden es heraus: Es heißt Geraldine, wiegt knapp 80 Kilo, lebt in Loizenkirchen, wird versorgt vom Fanclub Frontenhausen und ist von Beruf das persönliche Glücksschwein von Peter Pacult. Die Farbenlehre vom Wochenende: 1:0 für Schweinchenrosa gegen Anzugblau. THOMAS BECKER
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