: Fast alles möglich
Minimal-Budgets durch hohe Dosen Kommunardengeist kompensiert: Metropolis und Lichtmesz zeigen in der Reihe „Shoot Shoot Shoot“ die experimentelle Seite der Londoner Filmszene der 60er
von GEORG FELIX HARSCH
Als Lorenza Mazzetti, Lindsay Anderson, Karel Reisz und die anderen 1956 in London das Free Cinema proklamierten, war viel vom Hier und Jetzt, der Gesellschaft, wie sie wirklich ist, dem Alltag und echten Menschen zu lesen. Und irgendwo dazwischen stand auch der Satz: „Als Filmemacher glauben wir, dass ein Film zuallererst persönlich sein muss.“ Weil aber ein persönlicher Film in den Augen der einen abstrakt und anti-narrativ sein muss, ein abstrakter, anti-narrativer Film in den Augen der anderen autistisch und esoterisch ist, war es 1966 Zeit für das nächste Manifest und die nächste Gruppengründung.
Diesmal waren es vor allem Studenten und Lehrende der Londoner Kunstakademien, die sich zur London Film-Maker‘s Co-operative zusammenschlossen. Deren Zweck war einfach und in der Gründungserklärung nachzulesen: „shoot, shoot, shoot“. Vorbild war die New American Cinema Group, und wie in New York sollte in London ein Zentrum entstehen, das den Filmemachern die Möglichkeit bot, Produktion, Verleih und Aufführung unter ihrer eigenen Kontrolle zusammenzufassen.
Mit minimalem Budget, gespeist vor allem aus den geringen Mitteln des Experimentalfilm-Fonds des British Film Institute, wurden hier über 30 Jahre lang experimentelle Kurzfilme produziert. Namhafte Figuren des visuellen britischen Kinos wie Derek Jarman oder Sally Potter haben die Kooperative durchlaufen, der größte Teil der hier produzierten Filme gelangte jedoch nie über die Aufmerksamkeitsgrenze der Londoner Off-Galerien hinaus. Nach der durch das BFI erzwungenen Vereinigung mit der London Electronic Arts-Gruppe und einem desaströsen Versuch, die Basisgruppe durch kurzfristig großzügigere Investitionen zu einer profitablen Unternehmung zu machen, musste sich die London Filmmaker‘s Co-operative letztes Jahr auflösen.
Als Nachruf, oder Anstiftung zur Neugründung, wurde Anfang dieses Jahres in der Tate Modern eine Reihe präsentiert, die Arbeiten aus den ersten zehn Jahren der Kooperative zusammenfasst, und die ab heute auch in Metropolis und Lichtmesz zu sehen sind. Gegliedert in acht Programme, die die Schwerpunkte der Filmproduktion in der Kooperative bündeln, zeigt die Reihe eine Vorstellung von erweitertem Kino, wie sie im Swinging London-Untergrund entstanden ist.
Das Programm Expanded Cinema, das sechs Filme von Malcolm Le Grice, William Raban oder Lis Rhodes enthält, demonstriert das Artaud‘sche Aufführungsverständnis der Gruppe, mit dem das Kino erweitert werden sollte. Die Rolle des Publikums, des Projektors und des Tons werden in diesen abgefilmten Film-Performances untersucht. Malcolm Le Grice hängt für Castle One eine Glühbirne vor die Leinwand, auf der Nachrichtenmaterial flimmert. Willkürlich wird diese Brecht-Birne dann eingeschaltet, um das Publikum anzustrahlen.
William Raban lässt für eine Aufführung seines Films Take Measure die erste Spule am Projektor weg. Der Film selbst, der einen laufenden Projektor zeigt, schlängelt sich dann durch das Publikum und verschwindet im Projektor. Light Music von Lis Rhodes erinnert an ländliche Großraumdiskos. Zum Sound der bedruckten Tonspur bewegt sich der Projektor und mit ihm der Projektionsstrahl durch einen Raum, in dem das Publikum steht.
Versuche mit Bedingungen und Material des Kinos prägen alle acht Programme. London Underground zeigt die frühen Arbeiten, die zuerst im Beatnik-Treff Better Books gezeigt wurden. Hier darf dann auch mal William Borroughs in Towers Open Fire seine Texte brabbeln, während Militärwissenschaftler mit schwerem Gerät hantieren oder ein Geschlechtsverkehr in Reign of the Vampire auf einen nebulösen Mannschaftssport projiziert wird.
Die Reihe Double Screen Films zeigt abgefilmte synchrone Doppelprojektionen unter anderem von Sally Potter, die die coolen Oberflächen der Mod-Split-Screen-Ästhetik in visuelle Statements verwandeln wollen; Intervention & Processing führt vor, was in den 60ern mit einem optischen Printer möglich war; Location: Duration zeigt Landschaften und Straßenbilder, anhand derer subjektive Zeitwahrnehmung im Kino und objektive Projektionszeit abgeglichen werden können: Structural/Materialist zeigt unter anderem ein Experiment mit dem Begriff Tautologie, und bei Diversifications und The Epic Flight kommt nochmal alles zusammen.
„Shoot Shoot Shoot“ kombiniert Geflicker und Loops, die bis heute State of the Art sind, mit Materialuntersuchungen im vordigitalen Kino und der etwas angestaubten Ikonographie der anglophonen 68er Counter Culture. Insbesondere unter den vielen humorvollen Kurzfilmen der Reihe sind hier die Perlen zu finden, und immer wieder blitzt die Vorstellung auf, dass mit Hilfe kollektiven Arbeitens und einer guten Prise Kommunardengeist trotz minimaler Mittel fast alles möglich ist.
London Underground: 1.10., 19 Uhr; Intervention & Processing: 1.10., 21.15 Uhr; beide Metropolis. - Double Screen Films: 3.10., 19 Uhr; Expanded Cinema: 3.10., 21.30 Uhr; beide Lichtmesz. – Structural/Materialist: 7.10., 19 Uhr; Location: Duration: 7.10., 21.15 Uhr; beide Metropolis. – Diversifications: 10.10., 19 Uhr; The Epic Flight: 10.10., 21 Uhr; beide Lichtmesz
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