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Mehr Zeit, weniger Geld

Beschäftigte im öffentlichen Dienst sollen auf Lohnsteigerungen verzichten und dafür mehr Freizeit bekommen, fordert Rot-Rot bei Solidarpaktverhandlungen. Gewerkschaften reagieren ablehnend

von RICHARD ROTHER

Bei den Verhandlungen zum so genannten Solidarpakt ist zwischen dem rot-roten Senat und den Gewerkschaften weiter keine Einigung in Sicht. Der Senat konfrontierte die Gewerkschaften bei den gestrigen Gesprächen erstmals mit einem Bündel von Vorschlägen, mit denen er die Personalkosten im öffentlichen Dienst deutlich senken will. Die Gewerkschaften reagierten skeptisch. Ver.di-Landeschefin Susanne Stumpenhusen: „Es gab in der Sache keine Annäherung.“

Nach den Vorstellungen des Senats sollen die rund 140.000 Beschäftigten im öffentlichen Dienst bis zum Jahr 2006 auf Lohn- und Gehaltserhöhungen verzichten. Zum Ausgleich für die tarifvertraglich eigentlich üblichen Lohnsteigerungen sollen die Landesbediensteten weniger arbeiten. Wer heute noch 39 Stunden wöchentlich im Dienst ist, müsste 2006 nur noch 37 Stunden arbeiten – bei nominell gleichem Lohn, der sich aber auf Grund der zu erwartenden Inflation real verringert. Zusätzlich sollen die Landesbediensteten auf ihre rund 300 Euro Urlaubsgeld sowie die Hälfte des 13. Monatsgehaltes verzichten.

Allein mit dem Verzicht auf Lohn- und Gehaltssteigerungen in Höhe von jährlich 2 Prozent könnten sich im Jahr 2006 rund 525 Millionen Euro einsparen lassen, rechnete der Senat gestern den Gewerkschaften vor. Der Verzicht auf das Urlaubsgeld brächte 39,5 Millionen Euro; die geplante Kürzung des Weihnachtsgeldes 217 Millionen Euro. Zurzeit gibt das Land Berlin jährlich rund 7,2 Milliarden Euro für Personal aus – das entspricht in etwa den Steuereinnahmen. Der Senat will die Personalausgaben bis 2006 jährlich um 1 Milliarde Euro senken. Die eine Hälfte soll über den freiwilligen Gehaltsverzicht, die andere durch das altersbedingte Ausscheiden von Mitarbeitern erbracht werden. Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) begründete die Sparpläne mit der schlechten Finanzlage der Hauptstadt: „Das Paket ist schmerzlich für jeden Einzelnen, aber in der Gesamtschau der Finanzlage Berlins vertretbar.“

Die Gewerkschaften lehnten Eingriffe in geltende Tarifverträge ab. Der Haushalt könne nicht ausschließlich auf Kosten der Beschäftigten im öffentlichen Dienst konsolidiert werden, sagte Ver.di-Chefin Susanne Stumpenhusen. Berlin müsse sich stattdessen um eine Verbesserung seiner Einnahmen bemühen. Auf Bundesebene seien dazu Initiativen für eine Wiedereinführung der Vermögens- und eine Erhöhung der Erbschaftssteuer notwendig. So könne Berlin 400 Millionen Euro pro Jahr zusätzlich einnehmen. Dennoch sagte Stumpenhusen eine Diskussion dieser Vorschläge zu – auch mit der Bundesspitze ihrer Organisation. Wenn sich Senat und Gewerkschaften in zwei bis drei Wochen zu den nächsten Solidarpaktgesprächen treffen, soll es eine Antwort geben.

Sie dürfte wohl negativ ausfallen – geht es für sie doch um mehr als nur den Verzicht auf Lohnsteigerungen. Für die Gewerkschaften steht das System einheitlicher Flächentarife im öffentlichen Dienst auf dem Spiel, das gleichen Lohn für gleiche Arbeit innerhalb eines Tarifgebietes garantiert. Wollte Berlin eine Ausnahme machen, müsste bei den anstehenden Tarifverhandlungen eine Öffnungsklausel vereinbart werden.

Wowereit räumte ein, dass eine Berliner Sonderregelung „ordnungspolitisch nicht unproblematisch“, aber „alternativlos“ sei. Angesichts der bekannten prekären Finanzlage Berlins sehe er jedoch gute Chancen, bei den anstehenden Tarifverhandlungen im Oktober „diese Berliner Sonderregelung durchzubekommen“.

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