Solidarität ist eine Waffe

Bei den Solidarpaktverhandlungen zum öffentlichen Dienst haben sich Senat und Gewerkschaften in ein Patt manövriert. Doch bald könnte es zum Showdown kommen. Es fragt sich nur, wer gewinnt

Thilo Sarrazin und Susanne Stumpenhusen stehen sich in nichts nach

von UWE RADA
und RICHARD ROTHER

Es ist wie bei einem Fußballspiel, bei dem zwei Gegner aneinander geraten sind. Nase an Nase stehen sie sich gegenüber, schnauben vor Wut und funkeln mit den Augen. Wer als Erster zurückzieht, verliert das Gesicht, aber zum entscheidenden Schlag kann keiner ausholen, weil man viel zu nahe beieinander steht.

Ist es wirklich so? Oder stimmt dieses Bild nur für die eine Seite, für die Dienstleistungsgewerkschaft Ver.di und ihre kampfeslustige Chefin Susanne Stumpenhusen? Ist die andere Seite mit Ehrhart Körting (SPD) nicht viel zu defensiv? Müsste der Berliner Innensenator nicht endlich einmal in die Waffenkammer greifen, um zu zeigen, dass er sich von seinem Gegenüber nicht wie ein Nasenbär durch die Manege ziehen lässt?

Aber da ist ja noch Finanzsenator Thilo Sarrazin (SPD). 10 Prozent runter mit den Gehältern, 70.000 Stellen weg, hatte der schon zu Beginn der Verhandlungen gefordert. Schließlich verschlingen die Personalausgaben in etwa die gesamten Steuereinnahmen des Landes, während für Schulen, Straßen oder Schwimmbäder schon lange kein Geld mehr da ist.

Dennoch war Sarrazin mit seinen Radikalforderungen vom Regierenden ins zweite Glied geschickt worden. Doch auch dort scheint sich der Finanzsenator ganz wohl zu fühlen, wie die Giftlisten aus seinem Hause zeigen. Schließlich weiß er, dass seine Stunde schlägt, sobald die Solidarpaktverhandlungen zwischem dem rot-roten Senat und den Gewerkschaften über Kosteneinsparungen im öffentlichen Dienst scheitern. Um 500 Millionen Euro jährlich sollen die Personalkosten künftig durch den Solidarpakt sinken. Wenn das nicht freiwillig geht, dann eben mit Gewalt. Oder heißt es etwa nicht, Solidarität sei eine Waffe? Eigentlich bräuchte Sarrazin nur hoffen, dass Susanne Stumpenhusen, seine beste Verbündete, hart bleibt.

Und daran gibt es bislang keinen Grund zu zweifeln. Zwar hat die Ver.di-Vorsitzende den jüngsten Vorschlag des rot-roten Senats – Senkung der Arbeitszeit auf 37 Stunden, Streichung des Urlaubsgeldes, Verzicht auf Weihnachtsgeld bei Besserverdienenden und Verzicht auf betriebsbedingte Kündigungen – zu Beginn dieser Woche nicht rundherum abgelehnt. Doch ihre Ankündigung, das Senatspaket mit der Bundestarifkommission ihrer Gewerkschaft zu besprechen, läuft auf dasselbe hinaus. Ohne Öffnung der Tarifklauseln kein Solidarpakt.

Trotz der Beteuerung Stumpenhusens, die neuen Vorschläge mit dem Ver.di-Bundesvorstand zu diskutieren, ist der Senat den schwarzen Peter nicht los. Vor allem die PDS bringt diese fortgesetzte Blockadehaltung der Gewerkschaft in eine unangenehme Situation. Als Verteidigerin des öffentlichen Sektors gewählt, muss sie ihn nun als Regierungspartei – wenn auch behutsam – abwickeln. Dass die Gewerkschaften dabei auch die von der PDS ins Regierungspaket eingebrachten Vorschläge – moderate Umverteilung von Arbeitszeit und Einkommen – ablehnen, macht es für die Sozialisten doppelt schwer. Ein Gang beider Seiten zur Waffenkammer statt zu weiteren Verhandlungsrunden wäre für den Senat derzeit weitaus riskanter als für die Gewerkschaften.

Das ist auch der Grund, warum derzeit weder der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit noch der Innensenator mit den Säbeln rasseln. Ein weiterer Grund liegt darin, dass die Waffenkammer nicht allzu gut gefüllt ist. Mehr als die Anhebung der Arbeitszeit bei Beamten, betriebsbedingte Kündigungen ab 2004 sowie die mittelfristige Privatisierung von Eigenbetrieben hat der Senat als Druckmittel nicht zur Verfügung. Und auch diese Maßnahmen würden eher morgen als heute Kosten sparen. Selbst betriebsbedingte Kündigungen zögen zunächst eher langwierige und kostspielige juristische Auseinandersetzungen nach sich, als dass sie zu schnellen Einsparungen im Landeshaushalt führten.

Damit ist das Dilemma des Senats mehr als deutlich. Woher aber kommt die harte Haltung der Gewerkschaften? Weshalb die ablehnende Haltung gegenüber dem Vorschlag einer Arbeitszeitreduzierung ohne erhebliche Lohneinbußen?

Die Gewerkschaften argumentieren, der Solidarpakt bedeute einen Eingriff in die Tarifautonomie, die gleiche Löhne für gleiche Arbeit innerhalb eines Tarifgebietes garantiert. Sollte der Senatsplan umgesetzt werden, könnte ein Polizeibeamter in Hamburg im Jahr 2006 schon 170 Euro mehr als sein Berliner Kollege bekommen, befürchtet man bei der Polizeigewerkschaft. „Selbst wenn nach 2006 die Einkommen in Berlin wieder steigen würden, würde der Kollge die Einkommensverluste nie wieder aufholen“, sagt Gewerkschaftschef Eberhard Schönberg.

Das ist zwar richtig, aber nur die halbe Wahrheit. Denn nach wie vor verdienen die Beschäftigten im öffentlichen Dienst im Osten der Republik weit weniger als im Westen. Einzige Ausnahme ist Berlin, wo der Senat 1996 die Löhne im Ostteil an den Westen anglich. Was sozialpolitisch ein sinnvoller Schritt zur Vollendung der Einheit war, war ökonomisch fragwürdig: denn Berlin liegt nicht nur geografisch, sondern auch in puncto Wirtschaftskraft mitten in Ostdeutschland. Gemessen an den Ost-Einkommen im öffentlichen Dienst sind die Einschnitte, die der Senat jetzt wegen der katastrophalen Finanzlage fordert, eher gering.

Könnte es also sein, dass noch andere Gründe für die Gewerkschaften eine Rolle spielen? Seit Jahren sinken die Mitgliederzahlen der Gewerkschaften – auch bei den Ver.di-Vorläufergewerkschaften in Berlin und Brandenburg. Vergleichbare Zahlen liegen allerdings nur seit 2001 vor: Hatte der Ver.di-Landesverband im Januar 2001 noch rund 270.000 Mitglieder, so waren es zu Beginn dieses Jahres nur noch 255.000 Mitglieder.

Der Mitgliederschwund hat selbstverständlich mehrere Ursachen. Klar ist aber auch, dass einfache Mitglieder mögliche Einkommensverluste, die ihre Führung absegnet, kaum gutheißen. Im Umkehrschluss heißt das: Bleibt die Spitze hart, bleiben die Mitglieder bei der Stange. Susanne Stumpenhusen weiß das. Zudem dürften die permanenten Auseinandersetzungen mit dem Senat Nichtmitglieder in die Gewerkschaften treiben. Aus der privaten Wirtschaft ist bekannt, dass Streiks regelmäßig neue Mitgliederschübe in den Gewerkschaften auslösen. Insofern gibt es auch ein Eigeninteresse der Organisation, Konflikte – möglicherweise wider andere Einsichten – am Köcheln zu halten. Mehr Mitglieder heißt aber auch mehr Einfluss und mehr Macht. Gerade in einer Stadt, in der an allen Ecken und Enden gespart wird, ist dieses Argument nicht von der Hand zu weisen.

Doch vielleicht ist es in der Politik wirklich wie im Fußball. Irgendwann werden beide Kontrahenten nicht mehr Nase und Nase voreinander stehen und mit den Augen funkeln können. Irgendwann lassen sie entweder voneinander ab und einigen sich, oder es kommt zum großen Showdown.

Der Kassensturz der rot-grünen Bundesregierung könnte diesen Prozess noch beschleunigen, schließlich raubt er Berlin einen seiner hartnäckigsten Träume – mehr Geld vom Bund. Und auch Susanne Stumpenhusens Forderung nach einer Vermögensteuer statt Einsparungen im öffentlichen Dienst ist mit dem „Machtwort“ von Bundeskanzler Schröder obsolet geworden. Das heißt aber, dass sich der Konsolidierungsdruck in Berlin binnen kürzester Zeit erheblich verschärfen dürfte. 500.000 Euro jährlich an Personaleinsparungen dürften dann selbst den Wählern aus den rot-roten Gewerkschaftsmilieus nicht mehr als überzogen erscheinen.

Auch Susanne Stumpenhusen sollte deshalb ein Interesse an einer möglichst schnellen Regelung haben. Schließlich weiß auch sie, dass sich die Stimmung bald auch gegen die Gewerkschaften richten kann. Etwa dann, wenn in der Stadt eine Einrichtung nach der anderen kaputtgespart werden muss, Ver.di aber keinen Beitrag zur Konsolidierung leisten will. Oder wenn Finanzsenator Thilo Sarrazin seine Drohung wahr macht und keine neuen Mitarbeiter im öffentlichen Dienst einstellt. In diesem Fall könnten die Gewerkschaften schnell den schwarzen Peter für die Vergreisung in Schulen und Ämtern zugeschoben kriegen.

Spätestens dann stünde Stumpenhusen Finanzsenator Thilo Sarrazin in nichts nach. Beide wären sie dann Symbole einer egoistischen Interessenpolitik, die mit Solidarität oder Gerechtigkeit nichts, aber auch gar nichts gemein hat.