: Bommipflaume und Gartenprosecco
Wenn die böse alte Zeit Erinnerungen anspült, die doch für immer und ewig verschwunden sein sollten
Da sitzt man im spätsommerlichen Garten herum, nämlich Birgitta und ich, schlürft einen Eistee nach dem anderen – kann auch Prosecco gewesen sein – und spricht schleppend über dies und das und kommt dann auf das beliebte Thema „böse alte Zeit“ – Dinge, Gewohnheiten, Getränke, die aus unserem Leben und damit vielleicht überhaupt auf immer und ewig verschwunden sind. Beispielsweise Bommerlunder mit Pflaume, was in unserer Jugend ein beliebter Komastoff war und „Bommipflaume“ hieß. Weg. Gibt’s nicht mehr. Ende. Obwohl es nach wie vor Bommerlunder gibt und Pflaumen auch.
Damals verbrachten wir unsere Wochenenden vorzugsweise auf Zusammenkünften, auf denen Salzstangen gereicht wurden. Und „Fischli“ genanntes Essmaterial, das gleichzeitig scheußlich und nach nichts schmeckte. „Nudelsalat“, wirft Birgitta ein. Ja, Nudelsalat gab es auf den gehobeneren Veranstaltungen, und der ist ebenso ausgestorben wie Butterkremtorten und Herrentäschchen, die mann am kleinen Finger baumeln ließ und die bei Tchibo günstig zu erwerben waren. Auf welchem Friedhof, wenn nicht auf dem der Erinnerung, sind alle diese Dinge eigentlich begraben?
„Bettumrandung“, nuschelt Birgitta, die heute eine Einwort-Konversation führt. Genau! Bettumrandungen und Frisiertische mit dreiteiligem Spiegel und einem rosa umpuschelten Hockerchen. Im Verein mit Blumenschalen, die makrameeumhüllt vorm Fenster hingen, während auf dem gläsernen Couchtisch ein Ikebana-Arrangement die Wohnkultur zum Kochen brachte. Alles dahin. Wie Fernsehtruhen. Fernsehen gab es nur im Zusammenhang mit Truhen, und das bringt uns darauf, dass Collies ebenfalls aus der Mode gekommen sind. Die wiederum gab es nur im Zusammenhang mit kleinen Jungs, und wo sind die geblieben? Na ja, die sind jetzt 1,90 Meter und müssen sich schon lange rasieren. Schon sehr lange.
„Aussteuer“, murmelt Birgitta. Das war wirklich schrecklich. Nie bekam man was Vernünftiges zum Geburtstag. Immer nur Handtücher, Bettwäsche und Silberbesteck, das sich heute schwarz angelaufen irgendwo in einer Schublade herumwälzt. „Eisbären“, höre ich Birgitta sagen. Eisbären? Wie, was? Ach so … Babys auf Eisbärfellen. Worauf werden die heute eigentlich gelegt, wenn man sie fotografiert? Birgitta: „Jutesäcke“. Wenn das mal stimmt.
„Autos“, lautet Birgittas nächster Beitrag. Ach Gott ja, Autos sahen noch aus wie Autos, selbst ich konnte auf 100 Meter die Marken unterscheiden. Müsste ich heute als Zeugin vor Gericht eine Aussage machen, wäre ich rettungslos verloren. Der einzige Wagen, den ich korrekt identifizieren könnte, der Smart, ist aber gar keiner, sondern in Wirklichkeit ein I-Mac auf Rädern.
„Und Papas“, gibt Birgitta jetzt zum ersten Mal zwei Worte zum Besten. Das ist wahr. Väter wurden nicht Andreas oder Dieter genannt, sondern Papa, allenfalls Vati, manchmal sogar von der eigenen Frau. Und was die konnten! Zellophanpapier um einen Kamm wickeln und bekannte Volksweisen darauf blasen. Das möchte man wirklich nicht noch einmal erleben. Oder doch? Bloß nicht sentimental werden. Daran ist nur der Eistee schuld. By the way – was unsere Kinder später wohl in sich hineinschütten werden, während sie über Prosecco lästern? Soll nicht unser Problem sein. Prost.
FANNY MÜLLER
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