zahl der woche
: Experten gilt das Seehundsterben als natürliches Phänomen

Ein Drittel wird überleben

Für jeden toten oder sterbenden Seehund gibt es derzeit fürs Einsammeln an der deutschen Küste 34 Euro Bergeprämie. An den skandinavischen Küstenabschnitten von Nord- und Ostsee ist der Preis sogar noch etwas höher. Das macht bei 17.200 verendeten Tieren … Nein, diesmal wollen wir in der Zahl der Woche nicht wissen, wie viel Profit die Bergung für all die professionellen und selbst ernannten Seehundfänger einbringt. Makaber genug ist das Massensterben der armen Tierchen, die alle wegen Phocine Distemper Virus (PDV), umgangssprachlich Seehundstaupe genannt, ihr Leben lassen.

209 angeschwemmte Seehundkadaver hat das Elbwasser seit Juni bis nach Hamburg hineingetrieben, 234 Tiere verendeten auf Helgoland, insgesamt 5.294 starben entlang den Küsten von Niedersachsen und Schleswig-Holstein. Wie viele es noch werden könnten, ist völlig offen, niemand kennt die genaue Zahl der in Nord- und Ostsee lebenden Tiere.

Bei den Todeszahlen insgesamt gibt es bislang eine Dreiteilung. Je zu einem Drittel sterben die Tiere im Watt, zu einem weiteren in der Nordsee und zum letzten in der Ostsee. Ausgangspunkt der Seuche war der Nordzipfel der Niederlande, dann verbreitete sie sich durch den Skagerrak nach Norwegen, Schweden und tiefer hinein in die Ostsee bis nach Mecklenburg-Vorpommern. Hier machte die Epidemie vorerst Halt.

Das Massensterben von Wildtieren durch Viren ist ein natürliches Phänomen der Ökologie, sagen die Seehundexperten, und niemals sei ein Virus so aggressiv, dass es alle seine Wirtstiere ausrotte. Auch bei der jetzigen Epidemie in Nord- und Ostsee wird es so genannte B-Tiere geben, die genügend Antikörper gegen die Seuche gebildet haben und immun werden. Im kommenden Jahr werden diese Tiere sich dann wieder fortpflanzen und gesunden Nachwuchs großziehen.

So war es auch 1988 bei der letzten großen PDV-Seuche, als in unseren Meeren nahezu zwei Drittel aller Seehunde ums Leben kamen. In den kommenden Jahren wurden noch bei allen untersuchten Tieren Antikörper gegen PDV festgestellt. Die Zahl dieser Tiere nahm dann mit der Zeit ab, bis die Population schließlich fast nur noch aus Seehunden bestand, die nach der Seuche geboren waren und bald keine Antikörper mehr besaßen.

Auffällig in diesem Jahr ist der Umstand, dass man vor allem viele ältere, große, männliche Tiere findet – bis zu 110 Kilogramm schwer und fast 1,80 Meter lang. Warum gerade diese Tiere der Seuche zum Opfer fallen, weiß niemand. Und Fachleute rätseln, woher genau das Seehundstaupevirus stammen könnte. Gibt es ein Virusreservoir? Oder gibt es einen Zusammenhang zwischen der zu groß gewordenen Seehundepopulation und zu wenig Nahrung im Meer? ROLAND HOFWILER