: Dünner Schlussstrich
Der Bertelsmann-Verlag stellt heute eine Untersuchung zur eigenen Geschichte in der NS-Zeit vor. Entscheidende Fragen bleiben aber offen
von ANTON FUDERS
Das Paradoxe an Medienkonzernen ist oft, dass sie sich nichts mehr wünschen als die Abschaffung der Medien – jedenfalls all jener, die kritisch über sie berichten. Auch im Bertelsmann-Konzern lebt dieser Wunsch. Für ihre Versuche, fremde Berichterstatter zu beeinflussen, hat die Kommunikationsabteilung in Gütersloh unter Medienjournalisten ihren Ruf weg.
Vielleicht liegt das daran, dass seit der Neugründung des Konzerns 1947 in einer noch viel höheren Abteilung die Furcht tief sitzt, fremde Medien könnten ausführlich die Unternehmensgeschichte in – und vor – der NS-Zeit recherchieren und dabei auf Erkenntnisse stoßen, die das 1835 gegründete Medienhaus zwingen würde, sich zu rechtfertigen.
Konkret geht auch nach mehr als 60 Jahren um die Fragen: Welche Rolle spielte Bertelsmann im Dritten Reich? Welches Verhältnis hatten Firmeneigner Heinrich Mohn und sein noch lebender Sohn Reinhard (82) zu den Nazis?
Nützliche Legende
Angestoßen wurde die Debatte von Hersch Fischler, der 1998 in der Zürcher Weltwoche und im US-Magazin The Nation dargelegte, wie Bertelsmann jahrzehntelang die „geschäftlich nützliche“ Legende vom Widerstandsverlag im Dritten Reich verbreitet und systematisch seine Geschichtsschreibung manipuliert hatte. Ex-Bertelsmann-Boss Thomas Middelhoff räumte darauf ein, Fischlers Thesen seien im Kern korrekt. Bis heute liegt kein Beleg dafür vor, dass der Verlag von den Nazis als oppositionell eingestuft und deswegen 1944 geschlossen wurde. „Tatsächlich“, so Fischler, „kooperierte man eng mit den NS-Propagandaministerium und produzierte große Mengen Wehrmachtsliteratur.“
Unter dem Druck der Öffentlichkeit wurde 1998 die „Unabhängige Historische Kommission zur Erforschung der Firmengeschichte des Hauses Bertelsmann im III. Reich“ (UHK) unter Leitung des jüdischen Historikers Saul Friedländer gegründet. Vor zwei Jahren bestätige die UHK erste Teile der Wahrheit: Ja, Bertelsmann hat sein Geschäft im Zweiten Weltkrieg stark ausgebaut. Ja, Familie Mohn pflegte enge Kontakte zu den Nazis, was Mitgliedschaften in diversen NS-Organsationen belegen.
Am heutigen Montag erhält die Öffentlichkeit eine weitere Portion Wahrheit. Die UHK wird im Senatssaal der Uni München zwei Bände vorlegen, die alle Publikationen auflisten, die Bertelsmann von 1921 bis 1951 druckte. Für die Kommunikationsabteilung bilden diese Enthüllungen den „Schlussstrich“ der Debatte – obwohl sie längst nicht die vollständige Antwort auf alle Fragen liefern.
So schmerzlich das Ergebnis ausfallen mag, wäre es ein Riesenversäumnis, jetzt nicht auch die Verstrickungen der Familie Mohn aufzuklären, die 1947 – auch basierend auf falschen Angaben – von den Briten die Lizenz für ihr Verlagshaus in der Bundesrepublik erhielt. Vater Heinrich hatte verschwiegen, dass er Fördermitglied der SS gewesen war. Später erhielt er Sohn Reinhard die Zulassung, obwohl er nicht nur Luftwaffensoldat, sondern auch Mitglied der Hitlerjugend, möglicherweise auch der SS und der NSDAP gewesen war.
Offene Fragen
Das größte Fragezeichen steht jedoch über den (bestätigten) Spenden an die Nazis: rund 15.000 Reichsmark soll Heinrich Mohn seit 1921 gegeben haben – jawohl, bereits seit 1921, das Jahr, in dem er den C. Bertelsmann Verlag geerbt hatte. Sollte das zutreffen, drängt sich eine Frage von noch viel größerer Dimension auf: Warum unterstützte Mohn die winzige Hitler-Bewegung in ihren ersten Jahren? Es könnte sein, dass die Familie große Schuld am Aufbau der Nazis trägt. Zur Klärung – und Befragung von Reinhard Mohn – muss jetzt eine zweite UHK her. Fischler hat sie bereits gefordert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen