: Zukunft nach US-Geschmack
aus Arbil INGA ROGG
„Saddam hat nur noch eine Wahl“, sagt Hiwa, Taxifahrer in der kurdischen Stadt Arbil, spöttisch: „Zwischen einem schnellen und einem langsamen Tod.“ Sollten die UN-Waffeninspektoren nach Irak zurückkehren, verzögere das nur den Krieg und damit das Ende des Diktators. Dass die USA diesen Krieg aber führen werden, das steht für den 30-Jährigen außer Zweifel.
Davon sind inzwischen auch die Demokratische Partei Kurdistans (KDP) und die Patriotische Union Kurdistans (PUK) überzeugt. Nach monatelangem Zögern – die beiden großen kurdischen Parteien bestanden auf Mitsprache bei der Zukunftsplanung des Irak – haben sie ihre Zurückhaltung abgelegt und sich offen hinter den von US-Präsident George W. Bush angestrebten Regimewechsel in Bagdad gestellt.
„Wir streben nach einem pluralistischen, demokratischen und föderalen Irak“, sagt KDP-Sprecher Hoshyar Zebari. „Wenn die USA dieses Ziel verwirklichen, stehen wir auf ihrer Seite.“ Ins gleiche Horn stößt sein Kollege von der PUK, Saadi Ahmed Pire. „Nachdem wir so viele Jahre gegen dieses Regime gekämpft haben, sind wir Kurden sicher die Letzten, die sich einem Wechsel entgegenstellen.“
So viel Einigkeit war lange nicht unter den beiden Veteranen der kurdischen Bewegung. Sie wissen aber, dass sie nur mit vereinter Stimme ein gewichtiges Wort in einer Nachkriegsordnung mitreden können. Mit Nachdruck haben sie deshalb in den vergangenen vier Wochen verhandelt, um ihre Differenzen beizulegen, die die seit 1991 faktisch unabhängige Region Mitte der 90er-Jahre an den Rand eines Bürgerkriegs gebracht hatten.
Ihre erste Feuerprobe hat die neue Einigkeit bestanden. Mit einem Festakt wurde am vergangenen Freitag in Arbil das kurdische Regionalparlament wieder eröffnet, das fast sieben Jahre lahm gelegt war. Zusammen mit dem „Ausschuss für Frieden“ sollen die Parlamentarier Vorbereitungen für Neuwahlen in spätestens neun Monaten treffen. Vor allem aber sollen sie einen Vorschlag für eine künftige irakische Verfassung verabschieden, die den Status der kurdischen Region regelt und als Grundlage für die Gespräche mit der irakischen Opposition dient.
Fest steht schon jetzt, dass die Kurden auf jegliche Forderung nach Unabhängigkeit verzichten werden. Statt sich abzukoppeln, zielen sie auf politischen Einfluss auch in Bagdad. Auch im Konflikt um die Erdölprovinz Kirkuk, an dem bislang jede Verständigung mit der Regierung scheiterte, zeigt man sich kompromissbereit. Zwar soll die Provinz in einen künftigen kurdischen Bundesstaat eingegliedert werden, aber eine multiethnische Verwaltung erhalten. „Unsere Zukunft liegt in Bagdad“, sagt denn auch der PUK-Sprecher. „Wenn wir dort Einfluss haben, können wir mehr für unsere Bevölkerung tun, als es ein unabhängiger Staat angesichts der regionalen Machtverhältnisse je vermag.“
Doch Taxifahrer Hiwa und sein Kollege Berham sind skeptisch. „Jetzt gibt sich die Opposition demokratisch“, sagt Hiwa. „Aber wenn sie erst einmal an der Macht ist, wird sie sich kaum vom jetzigen Regime unterscheiden.“
Damit es dazu nicht kommt, müssten alle Regelungen mit internationaler Beteiligung getroffen werden, sind sich KDP und PUK einig. Und das bedeute derzeit eben vor allem mit den USA. Die Annäherung an die US-Politik beschleunigte ein Treffen der sechs wichtigsten irakischen Oppositionsgruppen mit Vertretern der US-Regierung im August in Washington. Dabei kamen die verschiedenen Fraktionen überein, das Zweistromland nach dem Ende der Diktatur in eine demokratische, föderale Republik umzuwandeln. Washington sicherte seine Rückendeckung zu. Auf einer für diesen Monat in Europa anvisierten Konferenz sollen die Weichen für eine Übergangsregierung gestellt werden. Die Bush-Administration lehnt ihrerseits Pläne für einen Militärputsch ab und kam damit einer zentralen Forderung der Kurden entgegen. Zugleich sicherte sie den Kurden und Schiiten für den Fall eines Kriegs gegen den Irak umfassenden militärischen Schutz zu. Washington machte aber klar, dass man einer Sezession des Nordens nicht tatenlos zuschauen werde.
Die Kurden stünden vor einer historischen Zäsur, sagen Zebari und Pire. Noch nie seien ihre Aussichten so gut gewesen, als gleichberechtigte Partner in einem demokratisch verfassten Irak anerkannt zu werden. Diese Chance wolle man auf keinen Fall verspielen.
Ob sich die Gemüter in der arabischen Welt und der Türkei durch diese Willensbekundung beruhigen lassen, ist fraglich. Allen voran hat die Regierung in Ankara in den vergangenen Wochen immer wieder das Gespenst eines kurdischen Staates an die Wand gemalt und notfalls mit einer militärischen Intervention gedroht. Washington habe hingegen den Kurden versichert, dass es dazu nicht kommen werde, heißt in Kreisen der beiden Parteien. Die USA hätten entsprechenden Druck auf Ankara ausgeübt. Allerdings könnte die Türkei einen wichtigen Part in einer künftigen Friedenstruppe für den Irak übernehmen.
Die Frage bleibt, wann und wie das Regime gestürzt wird. Eine Rolle, wie sie dieNordallianz in Afghanistan spielte, lehnen beide Parteien kategorisch ab. Einen Putsch ebenfalls. Wie soll der Umsturz dann erfolgen? „Wir bereiten uns auf die Verteidigung unserer Bevölkerung vor“, sagen die beiden Parteisprecher knapp. Dass die Kurden in die Rolle des passiven Zuschauers schlüpfen, ist angesichts der Präsenz amerikanischer Berater unwahrscheinlich. Gemeinsam könnten sie bis zu 100.000 Kämpfer mobilisieren. Ein Teil davon wurde in den letzten Jahren von geflohenen irakischen, aber auch von türkischen Offizieren ausgebildet. Sie stünden im Kriegsfall bereit, um desertierenden Armeeeinheiten beizustehen. Eine Generalamnestie wie 1991, von der nur Saddam und seine engsten Gefolgsleute ausgenommen sind, könnte den Verfall des Regimes enorm beschleunigen. Damals scheiterten die Aufständischen an George Bushs sen. Willen, das Regime zu zerschlagen.
Im vergangenen Golfkrieg noch keine 20 Jahre alt, hat Taxifahrer Hiwa auf Seiten der Aufständischen gekämpft. Er würde es wieder tun. „Aber diesmal muss Amerika Saddam stürzen“, sagt er. „Sonst macht sich Bush doch lächerlich.“
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