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Geschichte aus dem Ghetto

Angeblich sein persönlichster Film, die bekannte Handschrift trägt er nicht: Roman Polanski nähert sich in „Der Pianist“, der morgen in einer Preview läuft, durch eine fremde Geschichte der eigenen

von JAKOB HESLER

In Der Pianist erzählt Roman Polanski eine wahre Geschichte aus dem Warschauer Ghetto. Die polnisch-jüdische Familie Szpilman kann den Hass der deutschen Besatzer anfangs nicht ernst nehmen. Sie täuscht sich fatal – aus überlegenem Humanismus, der gegenüber der Barbarei hilflos bleibt. Nur der Sohn Wladyslaw (Adrien Brody), ein bekannter Pianist, überlebt die Zwangsarbeit, entkommt den Transporten, flieht aus dem Ghetto.

Früher wollte Wladyslaw nicht mit der jüdischen Hilfspolizei kooperieren. Jetzt kriecht er durch rauchende Ruinen und wartet auf die Russen. Ein deutscher Besatzungsoffizier versorgt ihn heimlich mit Lebensmitteln. Die Güte dieser Figur wurde dem Film in Polen vorgeworfen. Dabei muss man nicht einmal entgegnen, dass hier eine wahre Geschichte erzählt wird. Denn die verbürgt noch lange nicht die Wahrheit des Films: seine Auswahl könnte tendenziös sein. Es genügt zu sagen, dass die Geschichte, ja: gut erzählt ist. Und das heißt hier: im Sinn der Opfer. Soweit das möglich ist.

Der Offizier ist dabei nicht einfach ein Guter unter den Schlechten. Die Begegnung wird nicht etwa apologetisch zur geheimen Freundschaft hochstilisiert oder zum Beleg eines ambivalenten Wesens des Nazismus. Der Deutsche ruft Wladyslaw mit dem Wort „Jude!“ aus seinem Versteck und gibt ihm zu fressen wie einem Straßenköter. Die Hierarchie bleibt immer klar, kann sich aber für Augenblicke schlagartig ins Gegenteil verkehren. Der Offizier lässt Wladyslaw auf einem Flügel spielen, um zu prüfen, ob er tatsächlich ein Pianist ist. Seit Jahren das erste Klavier – völlig verwahrlost, abgemagert, entmenschlicht sitzt Wladyslaw mit leeren Augen davor. Und aus der Erniedrigung wird – mit Chopin – ein Triumph. Der bilderbuchmäßig kunstsinnige deutsche Offizier zeigt sich sehr ergriffen. Ganz ohne Klischees, ohne kulturelle Versatzstücke kommt der Film nicht aus.

Doch das spricht nicht im Geringsten gegen Der Pianist (Goldene Palme 2002). Die völlig konventionellen, durchschnittlichen Mittel der Inszenierung sind gerade sein Vorzug. Gut erzählt heißt hier auch und vor allem: unspektakulär, unter Verzicht auf eine individuelle Handschrift. Polanski sagt, Der Pianist sei sein persönlichster Film. Er ist aber kein Polanski-Film. Polanskis Schaffen war bei aller stilistischen Wandelbarkeit durchgängig von der filmischen Stilisierung psychischer und narrativer Wirklichkeit geprägt – sei es im Dienst des Psychogramms, des Horrors oder des Klamauks. Hier aber bescheidet er sich mit den erprobten Pfaden des linearen Erzählkinos, ohne eine dem Thema vielleicht adäquatere Formsprache zu erfinden, als wäre die eine Anmaßung angesichts der Wirklichkeit des Holocaust.

Unangemessen gewesen wäre auch der Versuch, den Gegenstand mit vordergründigem visuellem Effekt emotional aufzubohren wie Spielberg in Schindlers Liste. Ebensowenig begibt sich Der Pianist auf eine selbstreflexive Reise in die Vergangenheit wie Atom Egoyans neuer Film Ararat über den Genozid an den Armeniern.

Persönlich ist der Film für Polanski, weil er, dessen Karriere in Polen begann, dort als Kind selbst nur knapp dem Konzentrationslager entronnen ist, in dem seine Mutter ermordet wurde. Das impliziert einen anderen Zugang als etwa für Egoyan, der selber kein Opfer ist. Als Spielberg Schindlers Liste projektierte, hat er Elemente aus Polanskis Biographie, aus dessen Kindheit im Krakauer Ghetto verarbeitet, ihn sogar um Übernahme der Regie gebeten. Polanski hat damals abgelehnt, weil ihm das Material zu persönlich schien. Er hat auf eine andere Gelegenheit gewartet und nun die Autobiographie eines Fremden verfilmt – als ermögliche erst die Distanz das Persönliche.

morgen (mit dem Sohn von Wladyslaw Szpilman, Andrzej Szpilman und dem Schauspieler Wanja Mues), 19 Uhr, Zeise

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