: Die oberirdischen Maulwürfe
Die BremerInnen haben ihren Marktplatz wieder – und reiben sich verdutzt die stumpfen Äuglein
Jetzt ist es raus: Die Bremer sind blind. Bremerinnen auch. Allerorten trifft man dieser Tage auf Bekannte, die erstaunt sagen: „Auf dem Marktplatz, da wo jetzt alles so neu ist, da is‘ so‘n komisches Kreuz im Boden.“ Selbst die altgedienten BremerInnen, die schon so oft ihre Sohlen über den Platz schliffen, dass die aufwändige Sanierung notwendig wurde, scheinen das „Hanseatenkreuz“ auf der Mitte des Marktes erstmals wahrzunehmen: „Das sieht ja aus wie ein Eisernes Kreuz!“
Immerhin: Die Assoziation mit dem Weltkriegs-Orden ist nicht ganz falsch – das Kreuz wurde anlässlich der 50-Jahrfeier der Völkerschlacht bei Leipzig gestiftet. Die fand allerdings schon 1863 statt. Seitdem prangt es in rötlichem Sollingstein und transportiert Geschichte noch und nöcher: Als Wappen des Deutschritter Ordens, der im Mittelalter die Ostmission vorantrieb (sich also riesige Gebiete im polnischen Raum eroberte), als Symbol der Hanse, die das Kreuz auf ihren Koggen flattern ließ, und dann eben als Ehrenzeichen der hanseatischen Teilnehmer an den „Befreiungskriegen“ gegen Napoleon. Aber Geschichte hat ja erst den wenigsten die Augen geöffnet.
Doch jetzt drängt sich das Kreuz auch dem letzten Augenfaulen auf. Der drumherum gelegte schwedische Granit ist heller als sein Vorgänger, außerdem erscheint der ganze Platz größer als je zuvor. Eigens wurde die Geranienmauer vor der Bürgerschaft abgerissen und die einheitliche Pflasterung bis in die Seitenbereiche durchgezogen.
Wenigstens die Bremer Denkmalschützer hatten schon immer scharfe Augen. Peter Hahn vom entsprechenden Amt hat beobachtet: „Die Fugen, Färbungen und Kanten der neuen Pflasterung unterscheiden sich von der vorherigen. Insofern kann man die Restaurierung als ,Variation über ein Thema‘ bezeichnen.“ Der handfeste Grund für die etwas andere Bodenbedeckung: In den nächsten Jahrzehnten soll der Platz besser gerüstet sein für die ihn quälenden Vierzigtonner, die mancher Platte das Kreuz gebrochen hatten.
Angesichts solcher Belastungen sollte man vielleicht froh sein, dass die BremerInnen ihren Platz nie wirklich angucken. Denn das „wirkliche Sehen drückt ein Objekt zusammen – in der Art einer Harmonika“, wie schon Heimito von Doderer in seiner Kunsttheorie warnte. Außerdem bietet das rücksichtsvolle Weggucken der BremerInnen eine prima Erklärung für den reißenden Absatz, den „Buddel“, das blinde Baustellen-Maskottchen, in der Bevölkerung fand: Ein Maulwurf gräbt selten allein. HB
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