: Bilder für den Herbstsalon
Ein Fest des kunsthistorischen Vergleichs: Die Alte Staatsgalerie in Stuttgart feiert ihren neuen Oberlichtanbau mit der Ausstellung „Édouard Manet und die Impressionisten“
Das Land Baden-Württemberg feiert seinen fünfzigsten Geburtstag. Ein Grund, sich und seinen Bürgern eine Freude zu machen. Die Stuttgarter Alte Staatsgalerie hat einen neuen Anbau mit viel zusätzlichem Raum für Sonderausstellungen bekommen. Eingeweiht wird der siebzig Meter lange und acht Meter breite zweigeteilte Oberlichtsaal mit der Ausstellung „Édouard Manet und die Impressionisten“. Ein Thema, das den Kunsthistorikern bis heute keine Ruhe lässt. Die Impressionisten sahen Manet als einen der ihren, er selbst lehnte es ab, sich an ihren ab 1874 stattfindendenden Ausstellungen zu beteiligen, und schickte seine Bilder trotz häufiger Ablehnung weiter an den Pariser Salon.
Die Ausstellung umfasst fünfzig Werke von Manet, dazu rund dreißig Arbeiten von Künstlerkollegen. Mit einem eigenen Manet, „Der Maler Monet in seinem Atelier“, und einem beachtlichen Schatz an impressionistischen Gemälden und Grafiken war es für die Stuttgarter nahe liegend, den Fokus dieser ersten deutschen Überblicksausstellung zu Manet auf die komplexen Beziehungen des Künstlers zu seinen Zeitgenossen zu lenken. Der Verzicht auf unerreichbare Hauptwerke wie die „Olympia“ oder „Das Frühstück im Freien“ war damit auch konzeptionell begründet. Im Fall der berühmten „Bar in den Folies-Bergère“ lässt eine vor Ort entstandene Ölskizze erkennen, dass Manet beim Atelierbild die impressionistische Manier nur noch selektiv und parallel zu einem gegenstandsbezogenen Malstil verwendet.
Ina Conzen als Kuratorin schafft mit einer raffinierten Mischung aus chronologischer, thematischer und gattungsspezifischer Ordnung gute Vergleichsmöglichkeiten. Manets Bild „Die Weltausstellung von 1867“ trifft auf Claude Monets „Der Quai des Louvre“ aus dem gleichen Jahr. Der Verzicht auf eine räumlich plausible Verbindung zwischen versprengten Menschengruppen auf einer vorderen Bühne und der im Dunst liegenden Stadt gibt Manets Bild eine von Zeitgenossen als modern empfundene Diskontinuität. Dagegen bietet das Bild des jüngeren Monet ein einheitliches Panorama aus der Vogelperspektive.
Mit seiner Maxime „Il faut être de son temps“ trat der stets elegant gekleidete Pariser Manet in die Fußstapfen Baudelaires. Ihre bildnerische Umsetzung führte schon vor der Auseinandersetzung mit dem Impressionismus zur Aufgabe des illusionistischen Raums und zu einem malerischen Duktus, den die Salonkritik als „unfertig“ ablehnte.
„Der Hafen von Calais“: greifbar nah die schwarze Silhouette eines Schoners vor einem Streifen milchig grünen Wassers, darüber eine Barriere aus dünnen Masten, mit den Schemen einer Stadt unter trübem Himmel. Ein Bild, vor dem man lange stehen bleiben möchte, wäre da nicht die Stuttgarter Inszenierung mit fliederfarbenen Wänden, die allem Ruhigen, Brüchigen, Melancholischen den Krieg erklärt. Das zwei Jahre vor Manets Tod entstandene Gemälde „Henri Rocheforts Flucht“ kann sich da schon eher wehren. Das Boot mit seiner Menschenfracht treibt in der aufgebrachten See. Angst und Hoffen des Kommunarden teilen sich über den malerischen Gestus mit, aber ausgerechnet im nahsichtigen Bereich springt die gegenständliche Darstellung ins Informelle um. Das Zürcher Gemälde und einige Lithografien („Der Bürgerkrieg“, „Die Barrikade“) vertreten in Stuttgart den politischen Manet, der neben dem „peintre flaneur“ leicht in Vergessenheit gerät.
Dass es Manet bei der Anwendung einer impressionistischen Technik nicht um die Wiedergabe der reinen Erscheinung ging, zeigt das Gemälde „Am Strand“. Die Silhouetten eines Paares in valeurreichem Grau und einem nicht weniger farbigen Schwarz zeigen eine lesende Frau und einen bildeinwärts blickenden Mann in auffallend kleinerem Maßstab. Mit Flächigkeit, individuellem Pinselduktus und willkürlicher Größenänderung treibt Manet seinem Bild den Illusionismus aus. Anders als Monet in seiner Impression vom „Strand bei Trouville“, konfrontiert uns Manet mit seiner Sicht des modernen Stadtmenschen. Die Ambivalenz von Nähe und Distanz ist auch das Thema des Berliner Gemäldes „Der Wintergarten“. Auf einer Gartenbank sitzt in sehr aufrechter Haltung Madame Guillemet, Inhaberin eines Modesalons, auf die Rückenlehne gestützt und ihr zugewandt, der Ehemann. Hände, die sich fast berühren, Blicke, die ins Leere gehen.
Wie kalkuliert Manet den Impressionismus einsetzt, zeigt die Straßenszene „Die Rue Mosnier mit Fahnen“. Das fein gestrichelte Weiß lässt eine besonnte, fast menschenleere Straße entstehen. In Fetzen von Rot, Weiß und Blau erkennt man die Trikolore. Klar umrissen ist allein der Krüppel im Vordergrund. Manets Vision des ersten Nationalfeiertags der Dritten Republik.
Die Stuttgarter Ausstellung zeigt in vielen, auch wenig bekannten Werken einen Manet, der im Kreis der Impressionistenfreunde und angespornt durch Schriftsteller wie Zola und Mallarmé das malt, was der Augenschein verbirgt.
Gabriele Hoffmann
Bis 9. Februar 2003, Katalog (Hatje Cantz) 23 €
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