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SPD gegen ihr eigenes Programm

Das Ehegattensplitting spaltet weiter: Grüne und Wissenschaftler wollen es abschmelzen. Die SPD dagegen ziert sich, obwohl eine Reform des Splittings in ihrem eigenen Wahlprogramm steht. Verfassungsjuristin: Jetziges Splitting ist verfassungswidrig

von CHRISTIAN FÜLLER

Bei den Grünen brach gestern schwere Nervosität aus. Ihr Plan, das Ehegattensplitting einzuschränken, steht offenbar vor dem Scheitern. Bei der SPD gibt es nämlich inzwischen „in allen Bereichen Bedenken“ gegen das Vorhaben. „Die Kernfrage ist doch: Gibt es eine gerechte Neugestaltung des Splittings?“, sagte der finanzpolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Joachim Poß, der taz. Poß zählt zu den maßgeblichen Verhandlern der SPD.

Der Steuerexperte hat vielerlei Bedenken. Der Vorschlag der Grünen belaste auch kleinere und mittlere Einkommen, sagte Poß. Es müsse zudem dafür Sorge getragen werden, dass auch die Erziehungsleistung von Ehepaaren geachtet werde, deren Kinder bereits nicht mehr zu Hause wohnten. Aus der Verhandlungsdelegation der SPD erging gestern daher ein väterlicher Rat an die Adresse der Grünen: „Die sollten noch einmal darüber nachdenken, ob man beim Splitting überhaupt etwas machen muss.“

Die Grünen wollen indes an ihrem Vorschlag festhalten, die Steuervorteile für gut verdienende Alleinverdienerehen zu verringern. Der grüne Delegationsleiter der entsprechenden Arbeitsgruppe, Fritz Kuhn, ist notfalls bereit, das Thema Ehegattensplitting in die große Koalitionsrunde einzubringen.

Das Modell der Grünen, das von Fachleuten des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) stammt, sieht vor, ab einem Bruttoverdienst von 45.000 Euro die Steuervorteile von Ehegatten einzuschränken. Konkret heißt das: Eine Ehepaar, bei dem ein Partner voll verdient und der andere null Einkommen hat, würde schrittweise auf bis zu 3.000 Euro an Steuervorteilen verzichten müssen. Bei einem Brutto von 45.000 Euro handelt es sich dabei um einen Verlust von 26 Euro, bei einem Verdienst von 100.000 Euro wären die bisherigen Steuervorteile um 3.000 Euro geschrumpft.

Aus der Wissenschaft erhalten die Grünen weiterhin Schützenhilfe. Der Abteilungsleiter „Staat“ im DIW, Viktor Steiner, bekräftigte das Gutachten seines Hauses, das ein neues Splittingmodell entworfen hatte, das so genannte Realsplitting. „Ich teile unsere damaligen Berechnungen der Aufkommenswirkungen“, sagte Steiner.

Für die Grünen war Steiner gestern besonders wichtig. Denn er war gestern in Zeitungen und Nachrichtenagenturen als Gegner des grünen Modells zitiert worden. Damit wäre der Kronzeuge für das in den Koalitionsverhandlungen verwendete Splittingmodell von der Fahne gegangen. Steiner sagte der taz, er habe lediglich ein Splittingmodell kritisiert, das bei 45.000 Euro Jahresbrutto die Splittingvorteile abrupt beende.

Die Verfassungsrechtlerin Franziska Vollmer bezeichnete unterdessen die derzeit betriebene Form des Ehegattensplittings als verfassungswidrig. Vollmer, die sich mit einer Arbeit über das Splitting promoviert hat, meinte: „Diese Form der Steuererleichterung schafft Vorteile für Eheleute, die sich aus dem Grundgesetz nicht ableiten lassen.“ Vollmer bezeichnete die Änderungen am Splitting, die die Grünen in die Koalitionsgespräche einbringen, als „juristisch vollkommen unproblematisch“.

Auch in der SPD begannen gestern erste Stimmen, sich der Beschlüsse der eigenen Partei zu erinnern. „Ich verstehe die ganze Aufregung nicht. Schließlich wollen wir das Ehegattensplitting nicht abschaffen, sondern nur umgestalten“, sagte Christel Humme, die in der SPD-Fraktion für Familienpolitik zuständig ist. Im Wahlprogramm der SPD steht, das Ehegattensplitting werde reformiert. Die Arbeitsgemeinschaft der SPD-Frauen (ASF) ist sogar dafür, das Splitting ganz abzuschaffen.

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