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Die Bahn wähnt sich beflügelt

Das neue Tarifsystem der Deutschen Bahn AG kopiert jenes der Fluggesellschaften. Kein Wunder: Sein Erfinder war früher bei der Lufthansa

von SUSANNE KLINGNER,ROLAND HOFWILER und NICK REIMER

„Neue Preise. Mit System“. Der Werbespot der Bahn lügt nicht. Gestern legte der Transportkonzern Details seines Berechnungssystems vor. Einen „radikalen Kurswechsel“ nennt Bahn-Vorstandschef Hartmut Mehdorn dies, „ das bisher größte Reformvorhaben“. Man könnte auch sagen: eine Kulturrevolution des Reisens. Denn mit dem Fahrplanwechsel am 15. Dezember kauft sich der Kunde im Prinzip nicht mehr eine Strecke, die er zurücklegen möchte, sondern einen Zug, mit dem er fährt. Oder anders: Die Fahrkosten werden nicht mehr nach Kilometerpreisen berechnet, sondern nach einem so genannten Strecken-Auslastungssystem.

Bisher plant nur ein Drittel

Nach diesem neuen System wird es schwer, einfach in einen Zug zu steigen und loszufahren. Künftig steht davor das Planen, Rechnen, Buchen, damit die Reise kein teures Vergnügen wird. Ein deutscher Bahnkilometer kostet 14 Cent – das ist viel im EU-Vergleich. Doch fiel das den meisten der rund drei Millionen Stammkunden bisher kaum auf: Die Bahncard halbiert den Preis ja. Damit ist nun aber Schluss. Mit der neuen Bahncard gibt es nur noch 25 Prozent Rabatt.

Dafür belohnt das neue System all jene, die lange im Voraus buchen, auf Nebenstrecken ausweichen können und mit mehreren gemeinsam eine Reise antreten. Dazu gibt es – um den hohen Grundpreis zu kaschieren – teilweise Rabatte mit bis zu 55 Prozent Ermäßigung.

In den Genuss dieser Vorzüge kommt jedoch nur die Gruppe der so genannten Langzeitplaner, die statistisch gesehen an manchen Tagen nur ein Drittel aller Reisenden ausmachen. Die meisten Menschen fahren – zumindest bislang – spontan, oder doch zumindet flexibel.

Damit ist es nun vorbei: Wer billiger fahren will, muss sich festlegen. Wer seine Festbuchungen nicht einhält, muss saftige „Umtauschgebühren“ zahlen. Hat man beispielsweise vor zwei Wochen eine Fahrkarte für einen Zug um 17 Uhr gekauft, verpasst diesen aber und schafft erst den nächsten Zug, sind 45 zusätzliche Euro fällig.

Man kann viel sparen – oder auch nicht. „Wir haben uns verpflichtet, mindestens 10 Prozent, im Durchschnitt aber über 50 Prozent aller Sitzplätze für Plan-und Spar-Tickets zur Verfügung zu stellen“, erklärte Anna Brunotte, Leiterin der Abteilung „Preis- und Erlösmanagement Personenverkehr“. Eine wolkige Aussage. Brunotte mochte sich gestern nicht festlegen, ob beispielsweise für die stets vollen Freitagabend-ICE nun 10 oder 50 Prozent Rabatt-Fahrkarten verkauft werden. Die Bahnverantwortlichen verweisen auf Flugreisen. Wer einen Flug gebucht habe, der komme auch pünktlich am Terminal an und verändere nicht in letzter Minute seine Reisepläne. Die Kultur der Bahnreise müsse sich eben der der Flugreise anpassen. Basta.

Das glaubt allen Ernstes Hans-Gustav Koch, der Erfinder des neuen Buchungssystems. Wen wundert es – der Mann kommt von der Deutschen Lufthansa, dort einst mit dem Kundenbindungsprogramm „Miles & More“ beauftragt. Für Koch ist die Welt ganz einfach: Die Menschen reisen mit Flugzeug, Zug oder Auto gleichermaßen gern, für sie zählt allein, was am billigsten ist.

Nach Marktanalysen der Bahn ziehen rund 60 Prozent aller Deutschen die Bahn für den Fernverkehr niemals in Betracht. Diese Zielgruppe habe man nun im Visier. Insbesondere Familien, die bisher das Auto bevorzugten, sollen gewonnen werden. Bei einer Auslastung von rund 40 Prozent der Züge habe die Bahn ihr Marktpotenzial und ihre Kapazitäten noch nicht ausgeschöpft. Die freien Sitze müssten verkauft werden. Ziel sei es, so Vorstandschef Mehdorn, die Auslastung der Fernzüge auf 60 Prozent und damit bereits bis 2004 die Einnahmen der Bahn um 100 Millionen Euro zu erhöhen. Das Umsatzplus bedeute auch 100 Millionen Euro mehr Ertrag, erklärt Mehdorn, so dass sich der Gewinn des Unternehmens fast verdoppeln würde. Im vergangenen Jahr verdiente die Bahn im Fernverkehr 124 Millionen Euro bei einem Umsatz von rund drei Milliarden Euro.

Kritik an Rückgabegebühren

„Grundsätzlich positiv“, bewertet der Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND) das neue Preissystem. „Mit den Angeboten wird die Bahn für Autofahrer und Fluggäste attraktiver“, so Tilmann Heuser, BUND-Verkehrsexperte. Wesentlich kritischer als der BUND gehen der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv), der Verkehrsclub Deutschland (VCD) und der Fahrgastverband Pro Bahn mit dem neuen Preissystem ins Gericht. „Wer mit der Bahn ähnlich flexibel reisen möchte wie mit dem Auto, zahlt künftig drauf“, erklärte Holger Jansen von Pro Bahn.

Die Verbraucherverbände kritisieren die überhöhten Gebühren bei Rückgabe des Fahrscheins. Wer seinen früh gebuchten Zug verpasst muss nicht nur bis zu 45 Euro Storno bezahlen – die Differenz zum regulären Preis kommt auch noch drauf, um mit dem nächsten Zug fahren zu können. Und der VCD kritisiert den Tarifdschungel. „Deutlich länger wird demnächst der Fahrkartenkauf dauern, weil die Beratung am Schalter intensiver wird. Und trotzdem entlässt die Bahn Schaltermitarbeiter“, so die VCD-Sprecherin Annette Volkers.

Albert Schmidt, der verkehrspolitische Sprecher der Grünen, urteilt, dass das Preissystem vielen Fahrgästen die Chance, preiswerter als bisher zu fahren, bietet. „Wir halten aber im Nah- und Regionalverkehr bis 110 Kilometer deutliche Verbesserungen für nötig.“ Insbesondere das Konzept der ermäßigten Sitzplatzkontingente müsse sich in der Praxis erst noch bewähren.

Tilmann Heuser vom BUND spielt den Ball zurück: Eine wirkliche Entlastung der Fahrpreise und des Unternehmens Bahn bringt erst die überfällige Senkung der Mehrwertsteuer von 15 auf 7 Prozent. Nach seinen Berechnungen kostet das den Fiskus jährlich 190 Millionen Euro. Heuser: „Da wird sich zeigen, wie grün die Bahnpolitik der rot-grünen Regierung wirklich ist“.

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