Die Straße in der Krise

Die Karl-Marx-Straße in Neukölln hatte eigentlich alle Voraussetzungen, sich als Hauptzentrum zu etablieren. Doch die Konkurrenz in Gropiusstadt ist zu groß

Die Analysten unter den Immobilienmaklern haben seit jeher ein einfaches System zur Klassifizierung von Einzelhandelsstandorten. Die unangefochteten Shopping-Meilen der Städte nennen sich Ia-Lagen, danach kommen die als Hauptzentren bezeichneten „Einkaufsstraßen mit überörtlicher Bedeutung“, gefolgt von den Subzentren, die vor allem die umliegende Wohnbevölkerung versorgen. Als Ia-Lagen gelten demnach Tauentzien und Kurfürstendamm in Westberlin, als Hauptzentren die Schlossstraße in Steglitz und die Wilmersdorfer Straße.

Auch die Karl-Marx-Straße in Neukölln hatte nach der Wende eigentlich alle Chancen, sich als Hauptzentrum zu etablieren. Wegen ihrer Nähe zu Treptow, aber auch wegen der vorhandenen Kaufhäuser war die Neuköllner Magistrale eine der meistfrequentiertesten in Berlin. Doch das hat sich geändert. Mittlerweile finden sich auch auf der Karl-Marx-Straße Callshops und Export-Import-Läden so wie auf der Müllerstraße im Wedding, einem der Verlierer im Verdrängungswettbewerb der Berliner Einkaufsstraßen.

Dabei ist es in Neukölln gar nicht so sehr die mangelnde Kaufkraft, die der Karl-Marx-Straße zu schaffen macht, sondern die Konkurrenz durch die Einkaufszentren. Nach dem Kindl-Boulevard hat mit dem Forum Neukölln vor zwei Jahren ein weiteres Großcenter eröffnet, das mit 20.000 Besuchern täglich zu den beliebtesten gehört. Doch das ist noch nichts gegen die ständig wachsenden Gropiuspassagen im Süden des Bezirks, das mit 60.000 Quadratmetern inzwischen größte innerstädtische Einkaufszentrum.

Derart auf einzelne Standorte konzentriert, ist es kein Wunder, dass sich dazwischen, wie es Immobilienexperte Rolf Spannagel nennt, die Situation „ausdünnt“. Das Problem der Karl-Marx-Straße ist nur, dass der wachsende Leerstand und das zunehmende Discounter-Angebot im kleinflächigen Einzelhandel sich auch negativ auf das Gesamtimage auswirkt. Das unterscheidet die Karl-Marx-Straße nicht nur von der Wilmersdorfer Straße, in der es zwar Kaufhäuser, aber keine Einkaufscenter gibt, sondern auch von der Landsberger Allee, in der es zwar Einkaufscenter gibt, aber keine leer stehenden Geschäfte dazwischen.