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Türkei enttäuscht

Kein Termin für Beitrittsverhandlungen: Die Regierungin Ankara hofft jetzt auf den EU-Gipfel im Dezember

ISTANBUL taz ■ Mit großer Enttäuschung ist in der Türkei die Entscheidung der EU-Kommission aufgenommen worden, zunächst noch kein Datum für den Beginn förmlicher Beitrittsverhandlungen vorzuschlagen. Entgegen den Erwartungen in Ankara heißt es in dem am Mittwoch von der EU-Kommission vorgelegten Fortschrittsbericht, die Türkei hätte im letzten Jahr zwar erhebliche Anstrengungen in die richtige Richtung unternommen, die Menschrechtssituation erlaube aber nach wie vor den Beginn von Beitrittsverhandlungen nicht. Außerdem erwarte die EU ein größeres türkisches Engagement zur Lösung der Zypernfrage.

Die Fortschrittsberichte werden für alle 13 EU-Beitrittskandidaten einmal jährlich verfasst und dienen in diesem Jahr als Entscheidungsgrundlage für den EU-Gipfel im Dezember. Vizeministerpräsident Mesut Yilmaz erklärte deshalb, er erwarte nun eine politisch motivierte Entscheidung auf dem Dezembergipfel.

Die schlechten Nachrichten aus Brüssel platzten in der Türkei mitten in die beginnende heiße Phase des Wahlkampfs für den Urnengang am 3. November. Die Regierung Ecevit, vor allem Mesut Yilmaz, aber auch Exaußenminister Ismail Cem und Exwirtschaftsminister Kemal Dervis fürchten, die Enttäuschung über den Bescheid aus Brüssel könnte die Anti-EU Parteien bei den Wahlen stärken. Aus diesem Grund wurden bereits am Dienstagnachmittag die EU-Botschafter aus Deutschland, Frankreich Großbritannien und Dänemark, dass zur Zeit die Ratspräsidentschaft innehat, ins Außenministerium bestellt und von Staatssekretär Uyur Ziyal darauf hingewiesen, dass die Türkei sich in einer besonderen politischen Situation befindet, was man in Brüssel berücksichtigen solle. Selbst die USA mischten sich ein. Der Sprecher des US-Außenministeriums, Richard Bouchner, beklagte den mangelnden Respekt der EU vor den türkischen Reformleistungen und bekräftigte die Erwartung der US-Regierung, dass die Türkei möglichst bald in die EU integriert wird.

In Ankara verweist man darauf, dass erst im August ein umfangreiches Reformpaket im Parlament verabschiedet wurde und die Regierung jetzt dabei sei, diese Gesetze umzusetzen. Erst vor zwei Tagen hat das Verfassungsgericht die Klagen der nationalistischen MHP gegen die Reformgesetze abgewiesen, die Todesstrafe von Abdullah Öcalan wurde bereits in lebenslängliche Haft umgewandelt und die Ausführungsgesetze für die kurdischen Sprachkurse liegen vor.

Aber nicht nur die offizielle Politik ist enttäuscht. Auch eine große Pro-EU-Initiative, in der sich mehr als 200 Nichtregierungsorganisationen zusammengeschlossen haben, meldete sich zu Wort. Brüssel solle doch gerade jetzt den Reformprozess unterstützen und der Türkei eine klare Perspektive für die EU geben, sagte einer ihrer Sprecher. Wie viele Politiker fürchtet man auch hier, die hinhaltende Politik der EU werde die Nationalisten und diejenigen Islamisten, die schon immer behaupten, die EU würde die Türkei in keinem Fall akzeptieren, stärken. Das Massenblatt Hürriyet wartete bereits mit der Theorie auf, genau das sei in Brüssel auch das Gewollte. Regiere in Ankara erst einmal eine Anti-EU-Koalition, brauche man sich keine Sorgen mehr zu machen, dass die Türkei in nächster Zukunft die EU-Kriterien erfüllen würde.

JÜRGEN GOTTSCHLICH

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