: „Im Handel leistet keiner Hilfe“
Die Krise des Buchhandels hat auch in Berlin heftig zugeschlagen. Nur das Kulturhaus Dussmann scheint mit seiner Strategie erfolgreich gegenzuhalten. Ein Gespräch mit der Geschäftsführerin Martina Tittel und der Pressesprecherin Barbara Hüppe
Interview SUSANNE MESSMER
taz: Frau Tittel, Frau Hüppe, die Buchbranche steckt auch in Berlin in einer schweren Krise. Nicht nur die Berliner Verlage klagen, auch große Buchhandelsketten wie Hugendubel und Kiepert stehen kurz vor der Pleite. Nur Dussmann ist außen vor. Warum?
Martina Tittel: Wir haben diverse Vorteile den anderen gegenüber. Erstens der hoch frequentierte Standort. Zweitens unsere tollen Öffnungszeiten, von Montag bis Samstag von 10 bis 22 Uhr. Zwanzig bis dreißig Prozent unserer Tageseinnahmen passieren nach 19 Uhr. Wenn wir auf diese verzichten müssten, ginge es uns schlecht.
Sie würden am liebsten auch am Sonntag öffnen?
Tittel: An den Sonntagen, an denen wir öffnen, Pfingsten und Ostern zum Beispiel, sind wir genauso gut besucht wie an anderen Tagen.
Barbara Hüppe: Wenn man sich ansieht, wie voll die Straßen hier an Sonntagen sind …
Tittel: … da kriegt man ganz schlechte Laune. Ich kann sonntags gar nicht hierher kommen.
taz: Wenn man sich Ihren Veranstaltungskalender ansieht, jede Woche ein prominenter Gast wie Ulla Meinecke, Karen Duve, Akif Pirinçci, dann ist das fast wie ein Internationales Literaturfestival – und immer ist bei Ihnen der Eintritt frei. Wie können Sie sich das leisten?
Tittel: Erst mal vorab: Das Litertaurfestival ist eine ganz feine Sache. Es bespielt viele Orte, auch kleinere Buchhandlungen, und versucht, viele Leute zur Literatur zu bringen. Was uns angeht: Wir haben uns für diese Werbestrategie entschieden. Jemand wie Hugendubel macht dafür öfter Anzeigen in der Tagespresse, die heftig teuer sind. Das leisten wir uns nicht. Dadurch, dass wir ausschließlich Erstpräsentationen machen, wird die Presse neugierig, und das ist dann die Werbung, die wir haben möchten. Ich will unseren Kunden ein kostenloses Einkaufserlebnis bieten.
Außerdem laden Sie auch immer wieder kleine Verlage ein oder kleine Berliner Plattenfirmen, sich vorzustellen. Bieten sie bewusste Unterstützung?
Tittel: Wissen Sie, im Handel leistet keiner freiwillig Hilfe. Aber soweit kleinere Verlage den Bedarf unserer Kunden decken, kaufen wir die natürlich ein. Es wäre ja blöd, dem Kunden nicht alles zu bieten, was der Markt hergibt.
Und wie kommen so spezielle Themen für bestimmte Szenen in einem Kaufhaus wie Ihrem an?
Hüppe: Da fallen mir zum Beispiel die 17 Hippies ein, die kaum einer außerhalb Berlins kennt. Da war es hier rappelvoll.
Also lieber Vielfalt statt Stapelthemen?
Tittel: Wir haben ein riesiges Sortiment. Aber natürlich haben wir auch Stapelthemen.
Stimmt es, dass Sie Ihre Angestellten unter Tarif bezahlen?
Tittel: Wir liegen im Mittelfeld. Unsere dreißig Prokuristen, die auch die Spätarbeitszeit mittragen, sind umsatzbeteiligt.
Also alles, bloß keine Angestelltenmentalitäten?
Hüppe: Genau. Bei uns kaufen die einzelnen Abteilungsleiter selbst ein, es gibt keinen Zentraleinkauf.
Was würden Sie einem kleinen Verleger raten, der im Augenblick sehr in Bedrängnis ist?
Tittel: Er muss ein ganz klares Profil bilden und soll nicht aus jedem Dorf einen Köter produzieren. Er muss Nischen bilden, und sich entsprechend an die Buchhandlungen wenden, die genau dieses Thema gut tragen können.
Und was einem großen Medienkonzern, der einen kleinen Verlag eingekauft hat und jetzt mit seiner Rendite in Konflikt gerät?
Tittel: Helft den kleinen Verlagen, ihr klares Profil zu erhalten. Nehmt dieses Profil aus dem großen Verlag raus, nehmt Titel raus. Das berühmte Beispiel: Keiner braucht das 17. Apfelessig-Buch. Wer soll 80.000 Neuerscheinungen pro Saison lesen? Amerika bringt für dreimal so viele Einwohner halb so viele Titel raus.
Was raten Sie der Konkurrenz?
Tittel: Es gibt ganz wunderbare Beispiele in der Stadt, Kiezbuchhandlungen, die sich klar am Bedarf ihrer Kunden orientiert haben und keine Verluste machen. Denen tun wir auch nicht weh.
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