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Migranten werden bevorzugt

Allerdings nur ein bisschen. Polizeipräsident Glietsch will mehr Ausländer in der Polizei, will an den Einstellungsvoraussetzungen im öffentlichen Dienst aber nicht rütteln. Treffen mit Türkischem Bund

von PLUTONIA PLARRE

Polizeipräsident Dieter Glietsch (SPD) sucht nach Wegen, wie mehr türkische Jugendliche Polizisten werden können. Nach einem Treffen mit Mitarbeitern des Türkischen Bundes Berlin-Brandenburg (TBB) hat Glietsch den Leiter der Landespolizeischule beauftragt, bis Ende November konkrete Vorschläge zur Lösung des Problems zu unterbreiten.

„Wir müssen, können und wollen die Anzahl der Migranten in der Polizei erhöhen“, sagt Glietsch. Der Geschäftsführer des TBB, Kenan Kolat, begrüßt die Initiative „als vertrauensbildendes Signal“ in Richtung Migranten. „So ein Engagement haben wir bei der alten Polizeiführung vermisst“.

In der rot-roten Koalitionsvereinbarung ist festgehalten, dass sich die Polizei um mehr Bewerberinnen und Bewerber nichtdeutscher Herkunft „bemühen“ werde. Auch ohne diesen Auftrag, sagt Glietsch, wäre er tätig geworden. Denn Integration bedeute, dass sich die Migranten auch im öffentlichen Dienst und in der Polizei „repräsentiert fühlen“ sollten. Ein Spiegelbild der Berliner Bevölkerung, in der 13,8 Prozent Ausländer und 3,8 Prozent Türken sind, „wird die Polizei aber auch in Zukunft nicht sein“, macht sich Glietsch keine Illusionen.

Nach Schätzung von Experten sind von rund 17.000 Schutzpolizisten weniger als ein Prozent nichtdeutscher Herkunft. Genaue Zahlen gibt es weder in Berlin noch in anderen Bundesländern. Begründet wird dies damit, dass die nichtdeutschen Polizeischüler bei der Übernahme in das Beamtenverhältnis deutsche Staatsbürger werden müssen. Einzig Hessen macht von der Ausnahmeregelung im Beamtenrecht Gebrauch.

Über Polizeibedienstete, die die deutsche Staatsbürgerschaft besäßen, aber nichtdeutscher Herkunft seien, würden keine statistischen Erhebungen geführt, hat auch Innensenator Ehrhart Körting (SPD) im Mai dieses Jahres eine entsprechende Kleine Anfrage des Grünen-Abgeordneten Özcan Mutlu beschieden.

Die einzigen Zahlen, die es gibt, sind die der Auszubildenden. Von insgesamt 2.688 Polizei-Azubis, die in Berlin zwischen 1999 und 2002 einen Ausbildungsplatz bekamen, waren 22 ausländische Staatsangehörige (weniger als 1 Prozent). Zehn hatten die türkische Staatsangehörigkeit (weniger als 0,5 Prozent).

Schon der frühere CDU-Innensenator Eckart Werthebach hatte überlegt, wie der Migrantenanteil in der Polizei erhöht werden kann. Für Bewerber anderer Ethnien Sonderregelungen zu schaffen, mit denen die Einstellungsvoraussetzungen des öffentlichen Diensts außer Kraft gesetzt werden können, hatte Werthebach aber rigoros abgelehnt. Auf Grundlage einer Mitte 1999 in der Innenverwaltung erarbeiteten Konzeption wurde die Polizei beauftragt, sich mit verstärkten Werbeaktionen speziell an BewerberInnen nichtdeutscher, vorwiegend türkischer Herkunft zu wenden.

In Zukunft wird sich die Polizei laut Glietsch bei den Werbeaktionen auf die Realschulen konzentrieren. „Ein Flächenbombardement bringt nichts“, ist sein Fazit aus dem Treffen mit der Türkischen Bund. Vor allem nicht, was türkische Abiturienten angeht, die die Polizei in letzter Zeit besonders umwarb. „99 Prozent der türkischen Gymnasiasten studieren nach dem Abitur“, sagt Kenan Kolat.

Nicht, dass sie kein lupenreines Führungszeugnis vorweisen könnten, ist der Grund, warum sich so wenige Migrantenjugendliche um einen Ausbildungsplatz bei der Polizei bewerben und von diesen noch weniger die Prüfungen im Auswahlverfahren bestehen. Auch nicht, dass sie zu klein von Wuchs wären oder nicht sportlich genug. „Es liegt es an den mangelnden Deutschkenntnissen“, benennt Kenan Kolat das Problem.

Polizeipräsident Glietschs Schlussfolgerung aus dem Treffen mit dem Türkischen Bund ist, dass die Defizite in der deutschen Schriftsprache nicht, wie bisher, automatisch zu einem Ausschluss des Bewerbers führen müssen. Sein Vorschlag: Der ansonsten als geeignet geltende Kandidat soll die Ausbildung beginnen können, wenn er in einer „Potenzial-Prüfung“ nachweisen kann, dass er das Zeug dazu hat, die Defizite während der Ausbildungszeit auszugleichen. Ähnliches wird bereits in Schleswig-Holstein praktiziert. Sachsen-Anhalt lässt bei den Sprachtests sogar Ausnahmen zu.

Beim Landesarbeitsamt wollen sich Polizeipräsident Glietsch und der Türkische Bund ferner dafür einsetzen, dass potenziell geeignete Bewerber in so genannten Vorschaltmaßnahmen – also vor dem Auswahlverfahren – speziell in Deutsch gefördert werden.

Die Einführung von Sonderkonditionen oder Bonuspunkten, zum Bespiel für soziale Kompetenz und Migrationshintergrund, lehnen Glietsch und dessen Dienstherr Körting allerdings ebenso ab wie der frühere CDU-Innensenator Werthebach. Auf die Deutschkenntnisse zu verzichten würde bedeuten, dass ein Migrant im Polizeiberuf nicht so eingesetzt werden könne wie ein Deutscher, meint Glietsch. „Das wäre eine massive Benachteiligung.“

Auch Kenan Kolat will keine Sonderkonditionen für seine Landsleute. „Das käme einer positiven Diskriminierung gleich.“ Er hat aber einen anderen Vorschlag: Die interkulturelle Kompetenz könnte für Deutsche und Nichtdeutsche gleichermaßen als Kriterium in das Auswahlverfahren eingeführt und besonders benotet werden. „Damit“, so Kolat, „würde der interkulturellen Kompetenz in der gesamten Polizeibehörde in Zukunft mehr Gewicht gegeben.“

So schön einige der Pläne auch sind, angesichts der Finanzmisere der Stadt und des Einstellungsstopps im öffentlichen Dienst bleiben sie Zukunftsmusik. Egal, ob Migranten oder Deutsche die Zielgruppe sind: Die Polizei macht zurzeit überhaupt keine Werbung, weil im Gegensatz zu den Vorjahren weder in diesem Herbst noch im Frühjahr Schulanfänger aufgenommen werden.

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