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Etwas Orange für alle

In Freiburg setzt die neue Intendantin Amélie Niermeyer zum Saisonstart auf getanzte Kafka-Texte, wütende Clowns mit Terror-Monologen und etwas Old-School-Shakespeare. Die Mischung hat Erfolg

von DOROTHEA MARCUS

Das Theater Freiburg hat eine neue Intendantin, und die schafft Erstaunliches. Während andernorts Spartenkürzungen oder Theaterschließungen drohen, hat Amélie Niermeyer, ehemalige Schauspielleiterin Frankfurt, Regisseurin am Residenztheater München und Deutschen Theater Berlin und nun Intendantin in Freiburg, hier auf wundersame Weise eine halbe Million Euro mehr allein für das Schauspiel herausgehandelt. Ganz zu schweigen von ihrem Vertrag, der beim Schlussgehalt eines langjährigen Oberbürgermeisters liegen soll. Das brachte ihr schon vor Spielbeginn Anfeindungen ein. Sie tauchte Freiburg in die proklamierte „Sinnlichkeit“ einer Corporate Identity in Orange, rief in rührenden Preisausschreiben – 1. Preis: die Intendantin kocht für vier Personen – die Öffnung des Theaters für alle aus, schuf neue Foyers, Eingänge, Bühnennamen. Stockte das Schauspielensemble auf und den Spielplan: 30 Premieren, 19 im Schauspiel, ein überaus ambitioniertes Programm. Die Eröffnung der Saison, mit vier Premieren, drei davon Uraufführungen, schraubte die Erwartungen hoch.

Deren erste ist zwar schon an die 30 Mal gespielt worden, aber nie szenisch: Heiner Goebbels’ „Surrogate Cities“, 1994 für das Jubiläum der Stadt Frankfurt komponiert, ist eine Hymne an das Verlorensein in der Großstadt, an ihre vertikale und horizontale Gleichzeitigkeit, die im übersichtlichen Freiburg indes etwas weniger verwirrend daherkommt. Eine dekorative Dramaturgie des Undramatischen, ein Gemeinschaftsabend von drei Sparten – Tanz, Musik und Texte von Auster, Kafka oder Calvino. Auch wenn das grandiose Musikstück die etwas unbestimmt schreitenden, rennenden, fallenden Schauspieler und Tänzer vielleicht nicht zwingend dazu gebraucht hätte.

Der zweite Abend ist mutiger. Christiane Pohle, Jungregiestar und ehemaliges Marthaler-Patenkind, hat sich von Niermeyer zur Uraufführung eines Projekts verpflichten lassen, das ihr schon seit einigen Jahren am Herzen liegt: die Dramatisierung von Peter Høegs „Der Plan von der Abschaffung des Dunkels“. Høeg erzählt eine traurige Internatsgeschichte, einen Schulkrimi mit Katastrophenende, und Pohle macht es dem Zuschauer nicht leicht. Das aseptische Bühnenbild aus grauen Gummiplanen (Marie-Alice Bahra) ist eher die radikal minimalisierte Demonstration eines inneren Zustands als die szenische Darstellung einer Internatsschule. Ein ungemütlicher Erinnerungsraum, auf dem die lineare Zeit ausgeschaltet ist und ein Erzähler (Christian Heller) umherwandelt und Kreidezeichen setzt.

Es beginnt sperrig, doch Pohle entwickelt ihre Geschichte durch kleine, unaufdringliche Bilder, die sich immer mehr zusammenfügen. Die Inszenierung entwickelt sich in der Reduktion: In einer symmetrischen, abgehackten Choreografie aus Morgengesängen, geturnten Englischvokabeln und Armen, die unter Planen hervorschnipsen, wird der drakonische Schüleralltag an Biehls Privatschule erzählt. Da sind Katarina, Peter und der verhaltensgestörte August, der seine Eltern umgebracht hat und jedem die Finger bricht, der ihm zu nahe kommt. Theresa Berlage erfasst die Rolle des August hypernervös, lauernd und unberechenbar, und auch Katja Hensel und Rainer Süßmilch gelingt die zerbrechliche Härte der nach Zeit forschenden Jugendlichen. Es wird ein tiefgründiger, etwas sperriger Abend, ein Erzählexperiment und ein gelungenes Gedankenextrakt des vielschichtigen Romans. Doch es geht gleich weiter, von der Leistungs- zur Spaßgesellschaft mit Tom Peuckerts Monolog „Kaspar Hauser Bombe“, uraufgeführt von Carlos Manuel. Ein scharfer Text, der kleine Sprachbomben in den Zuschauerraum legt, den Darsteller Achim Buch sorgfältig abgeschlossen hat.

Wir sitzen mit im Boot, hier kommt keiner mehr raus – mit kleinen Kunstgriffen bezieht der Regisseur den Zuschauer in Peuckerts ätzende Gedankenspiele ein. Der Komiker hat genug: In geschmeidigen Sätzen beschwört er die täglichen Mediendiskurse, die ewig skeptische Ironie, diesen gummiartigen Selbstschutz, von dem er gleichzeitig so angewidert ist, dass er ihn durch seinen umgeschnallten Bombengürtel final entsorgen will. Und das ausgerechnet beim medialen Zwiegespräch mit einem „Minister in Jeansjacke und Nasenring“ – um darin Joschka Fischer zu erkennen, braucht es das Programmheft nicht. Ein wütender, fast verzweifelter ernster Text, ein letzter, apokalyptischer Ausweg aus der Gallertmasse der Distanznahme.

Doch einen Abend später glättet die Intendantin alle Irritationen, die in Freiburg unter Umständen entstanden sein könnten. Der von ihr inszenierte „Sommernachtstraum“, neu und griffig übersetzt von Frank Günther, ist sauber und virtuos auf der Klaviatur der Komödiantik inszeniert. In einem herbstlichen Zauberwald aus roten, beleuchteten Fäden und glitzernden Blättern, jagen sich die unglücklich Liebenden, sorgen die schauspielernden Handwerker für Lacher um Lacher. Es ist spritzig, witzig, eine wundervolle Hommage an die neuen Schauspieler, von denen die meisten frisch aus Berlin von der Ernst-Busch-Schule kommen. Und so ist für jeden etwas dabei und endlich mal so richtiger Medienrummel im Städtchen. Amélie Niermeyer hat ihr erstes Theaterwochenende klug inszeniert und dabei einen Spagat markiert, den ein Stadttheater wahrscheinlich machen muss, um seine alten Liebhaber zu halten und ein neues Publikum in das Haus zu ziehen.

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