: Nordirland für den Winter eingemottet
Britische Regierung suspendiert die Autonomieinstitutionen nach schwerer politischer Krise. Offiziell wird erstdie Auflösung der IRA Nordirlands Unionisten wieder besänftigen. Aber in der Praxis arbeiten viele Gremien weiter
DUBLIN taz ■ Die Institutionen der Teilautonomie Nordirlands sind gestern aufgelöst worden, um einem Auszug der Unionisten, die die Union Nordirlands mit Großbritannien bewahren wollen, aus Parlament und Regierung zuvorzukommen. Zwar bleibt die Regierung unter dem unionistischen Premierminister David Trimble formell bestehen, doch die Amtsgeschäfte führt ab Mitternacht wieder das britische Nordirlandministerium. Der britische Premierminister Tony Blair und der irische Ministerpräsident Bertie Ahern äußerten sich in einer gemeinsamen Erklärung „tief traurig“ über die Rückkehr zur Direktherrschaft.
Die Unionisten werfen der in der Mehrparteienregierung vertretenen Sinn Féin vor, dass ihr militärischer Flügel, die Irisch-Republikanische Armee (IRA), einen Agenten ins Belfaster Parlament eingeschleust habe. Er soll beim britischen Nordirlandminister John Reid spioniert haben. Ferner wurden am Freitag in Bray südlich von Dublin in Irland fünf Männer festgenommen, die nachgemachte Polizeiuniformen trugen und gefälschte Papiere bei sich hatten. Die Polizei sagte, es handle sich um IRA-Mitglieder, die eine Bank ausrauben wollten.
Mit der Londoner Direktherrschaft wollen die Regierungen in London und Dublin den Schaden begrenzen. Sie hoffen auf eine Geste der IRA, die die Unionisten zum Einlenken bewegen könnte. Diese Taktik hat in den vergangenen Jahren bereits zweimal funktioniert, als die Institutionen suspendiert und wieder eingesetzt wurden. Unionistenchef und Premierminister David Trimble hat jedoch erklärt, dass ihn diesmal nur die Auflösung der IRA und die Ausmusterung ihrer Waffen zufrieden stellen würde. Britische Medien berichteten gestern, dass es ein Jahr oder länger dauern könne, bis Nordirland seine im Karfreitagsabkommen von 1998 vereinbarte und Ende 1999 realisierte Autonomie zurückgewinnt.
Neben der Mehrparteienregierung und dem Parlament sind auch der Nord-Süd-Ministerrat und der Rat der Britischen Inseln eingefroren worden. Während der Rat vor allem symbolische Bedeutung hat und ein Zugeständnis an die Unionisten war, hat der Nord-Süd-Ministerrat durchaus konkrete Ergebnisse hervorgebracht. Ihm gehören Beamte des Dubliner Parlaments und des britischen Nordirlandministeriums an. Der Rat hat 65mal getagt, zuletzt am vergangenen Mittwoch. Unter seiner Schirmherrschaft sind zahlreiche Institutionen gegründet worden, die sich mit gesamtirischen Fragen wie Tourismus, wirtschaftliche Entwicklung, EU-Fragen und Umweltpolitik auseinander setzen. Sie verfügen über einen Haushalt von rund 50 Millionen Pfund Sterling im Jahr, insgesamt arbeiten 700 Menschen in diesen Bereichen, 300 davon für die neue gesamtirische Fremdenverkehrszentrale.
Blair und Ahern möchten diese Institutionen gerne am Leben erhalten. So wird der Nord-Süd-Ministerrat zwar offiziell suspendiert, seine Arbeit geht jedoch weiter, wenn es die Unionisten zulassen. Ihnen ist jede gesamtirische Dimension allerdings ein Dorn im Auge, weil sie dahinter eine schleichende Wiedervereinigung Irlands wittern.
Die Teilautonomie geben sie dagegen nur ungern auf. Selbst die entschiedenen Gegner des Belfaster Abkommens, wie die Democratic Unionist Party (DUP) des Presbyterianerpfarrers Ian Paisley, haben in den Ministerien mit Vertretern anderer Parteien kooperiert – bis Freitag, als die beiden DUP-Minister ihre Ämter niederlegten. Paisleys Stellvertreter Peter Robinson, der Minister für regionale Entwicklung, hat in den Tagen zuvor jedoch zahlreiche Entscheidungen getroffen und seinen Transportplan weiterentwickelt, sodass seine Ministerialbeamten Wochen, wenn nicht Monate zu tun haben – bis zu seiner Rückkehr?
„Es ist wichtig, dass das Regionalparlament wieder eingesetzt wird“, sagt er. „Aber nicht in seiner derzeitigen Form. Niemand, der bei Trost ist, will zu Strukturen zurückkehren, die in den vergangenen vier Jahren von einer Krise in die nächste gestolpert sind.“ Er erwartet, dass seine radikale Partei bei den Wahlen im nächsten Mai Trimbles Unionisten überflügeln wird und dass auf katholisch-nationalistischer Seite Sinn Féin stark zulegen wird. „Diese neuen Umstände müssen in Betracht gezogen werden, wenn wir neue Strukturen schaffen.“ RALF SOTSCHECK
kommentar SEITE 12
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen