Der Krieg gegen den Tourismus

Noch tappen die Ermittler weitgehend im Dunkeln. Doch der Verdacht richtet sich bereits gegen al-Qaida – oder eine ihrer indonesischen Filialen

von SVEN HANSEN

Nach den verheerenden Bombenanschlägen im indonesischen Urlauberparadies Bali von Samstagnacht haben gestern tausende Touristen die Insel verlassen. Maschinen der australischen Luftwaffe flogen zahlreiche Verletzte aus. Die meisten Opfer stammen aus Australien. Auf den Flughäfen australischer Metropolen spielten sich erschütternde Szenen ab. Auf dem Flug erlagen zwei Australier ihren schweren Verletzungen. Damit erhöhte sich die bestätigte Zahl der Toten bis gestern Nachmittag auf 183. Zuvor hatte Indonesiens Gesundheitsminister Achmad Suyudi sie mit 181 angegeben und damit die frühere Zahl von 188 korrigiert.

Die Zahl der Verletzten bezifferte das staatliche Sanglah Hospital in Bali gestern mit 309. Es wurden allerdings noch dutzende Personen vermisst, darunter nach Angaben des Auswärtigen Amts auch acht Deutsche. Eine Deutsche wurde laut Auswärtigem Amt bei den Explosionen der zwei Bomben in Kuta getötet, zehn wurden verletzt. Vier hätten das Krankenhaus wieder verlassen können, sechs schwerer Verletzte seien auf dem Weg nach Australien oder bereits dort.

Polizei- und Geheimdienstexperten aus Australien und den USA flogen gestern nach Bali. Das Bundeskriminalamt kündigte an, ein Team der so genannten Identifizierungskommission dorthin zu entsenden. Generalbundesanwalt Kay Nehm leitete zudem ein Ermittlungsverfahren ein. Australiens Premier John Howard will den Außen- und Justizminister nach Indonesien entsenden, um eine engere Zusammenarbeit bei der Suche nach den Tätern zu erreichen.

Die Ermittlungen liefen gestern auf Hochtouren. Doch wurde weder eine heiße Spur gemeldet noch bekannte sich jemand zu den schweren Anschlägen. Auch Indonesiens Verteidigungsminister Matori Abdul Djalil sagte nicht, woran er die von ihm gegenüber AP geäußerte Täterschaft al-Qaidas festmache und wer die von ihm genannten lokalen Verbündeten seien.

Der in London lebende islamistische Geistliche Abu Hamsa al-Masri, der selbst Kontakte zu al-Qaida haben soll, sagte auf die Frage der Agentur Reuters, ob al-Qaida bei den Anschlägen eine Rolle gespielt habe: „Definitiv.“ Al-Qaida würde weitere Anschläge gegen Menschen aus westlichen Ländern durchführen, um die „amerikanische Arroganz“ zu bekämpfen. Al-Masri behauptete zudem, eine Nachricht erhalten zu haben, in der al-Qaida den Angriff auf US-Soldaten in Kuwait und den Anschlag auf den französischen Öltanker vor Jemens Küste lobt.

Der britische Terrorexperte und Autor des Buchs „Inside Al Qaeda“, Rohan Gunaratna, verdächtigt wie viele Beobachter die Gruppe Jemaah Islamiyah (JI) der Täterschaft. „Nur die JI hat sowohl die Absicht wie die Fähigkeit, einen solchen professionell ausgeführten Terroranschlag wie in Bali durchzuführen“, sagte Gunaratna. Gegenüber der Straits Times in Singapur sagte er, die Anschläge trügen die Handschrift von Riduan Isamuddin alias Hambali. Der Indonesier gilt als wichtigster Mann al-Qaidas in Indonesien und soll enge Beziehungen zum mutmaßlichen JI-Führer Abu Bakar Bashir haben. Bashir bestreitet jedoch jegliche Verwicklung in die Anschläge (siehe Portrait Seite 13). „Ich kann noch über niemanden etwas sagen, auch nicht über ihn“, sagte gestern Indonesiens Polizeisprecher Saleh Saaf auf die Frage nach Bashir.

Die USA und Singapur drängen Indonesiens Regierung seit Monaten, gegen Bashir und JI vorzugehen. Bisher hat sich Jakarta allerdings geweigert, einzugestehen, dass al-Qaida überhaupt in Indonesien aktiv ist und lokale Islamisten Verbindungen zum internationalen Terrorismus haben. Als der US-Botschafter zum Jahrestag des 11. September nach Warnungen des US-Geheimdienstes die Vertretungen seines Landes schließen ließ, waren viele in Jakarta verärgert. Die gestrigen Äußerungen von Verteidigungsminister Matori Abdul Djalil sind von daher eine Novität.

Dennoch wollen Beobachter nicht ausschließen, dass Elemente des Militärs bei den Anschlägen ihre Hand im Spiel haben könnten. Schließlich geht die Gründung von Jemaah Islamiyah in den 70er-Jahren auf eine Initiative des Militärs zurück.