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Ein geistiger Ort

Wo wird „Ansel Adams at 100“, die internationale Jubiläumsausstellung zum hundertsten Geburtstag des Fotografen, in Berlin eigentlich gezeigt? At Kunstbibliothek, at Nationalgalerie oder at Deutsches Centrum für Photographie? Die Ausstellung ist der Abgesang auf das geplante Fotomuseum

von BRIGITTE WERNEBURG

Mit seinem zynisch unterfütterten Charme ist Peter-Klaus Schuster, Generaldirektor der Staatlichen Museen zu Berlin, unübertrefflich. Wer könnte den Schiffbruch mit Zuschauern des einst als Luxusliner geplanten Deutschen Centrums für Photographie (DCP) schon eleganter thematisieren und zugleich ad acta legen als er? Es sei doch ungeheuer praktisch, so ungefähr äußerte sich der Direktor der Berliner Museumsflotte bei der Pressekonferenz am Donnerstag, dass es das Centrum für Photographie nicht wirklich gebe. Sonst wäre man womöglich mit der wunderbaren Ausstellung „Ansel Adams at 100“ auf Grund gelaufen. Nur weil die Ausstellung von der Kunstbibliothek in der Nationalgalerie für das DCP veranstaltet würde, so Peter-Klaus Schuster, der in diesem Bandwurm der Zuständigkeitsbeschreibung „ein deutliches Zeichen der Probleme“ bemerkte, habe Berlin tatsächlich den Zuschlag erhalten.

Der Ansel Adams Publishing Rights Trust nämlich bestand darauf, dass die große Retrospektive, die der ehemalige Direktor der Fotografischen Abteilung des Museum of Modern Art (MoMA), John Szarkowski, zum 100. Geburtstag des amerikanischen Nationalheiligen der Fotografie kuratiert hat, nur in einem Kunstmuseum gezeigt werden darf. Keinesfalls aber in einem speziellen Zentrum für Fotografie. Das Argument dahinter ist einfach, nicht ohne Grund war Adams einer der Gründer der Fotoabteilung des MoMA: Fotografie, so seine Auffassung, gehört zur Kunst des 20. Jahrhunderts. Diese wird nun eben im Museum für Moderne Kunst gezeigt, das heute üblicherweise ein interdisziplinäres Institut ist, weil eine fein säuberliche Trennung der Gattungen nicht mehr gelingt.

Vernünftige Leute hatten dieses Argument sofort ins Feld geführt, als die Pläne für das DCP in Berlin bekannt gegeben wurden. Sie ließen sich eines anderen belehren: Wenn die Fotografie in Berlin nur unter der Bedingung eines eigenen Hauses katalogisiert, restauriert, gesammelt und ausgestellt würde, dann sollte es eben so sein. Zumal die anvisierte technische Ausstattung tatsächlich auf die speziellen Anforderungen fotografischer Sammlungen zugeschnitten war. Die Ansel-Adams-Ausstellung, über die – wie bei solchen Großausstellungen üblich – schon seit Jahren, also seit den ersten Anläufen zum DCP, verhandelt wurde, sollte eigentlich der Blockbuster zur Eröffnung des Hauses sein. Nun ist sie sein Abgesang. Denn einen eigenen Ort der Fotografie wird es in Berlin nicht geben. Zwar soll sie einen „distinkten Ort“ erhalten, wie Peter-Klaus Schuster erklärte, „aber der kann auch ein geistiger Ort sein“. Kaum hatte Schuster dies gesagt, gefiel ihm die Idee so gut, dass das eben noch Denkbare schon eine Tatsache war. Das DCP also „wird ein geistiger Ort sein“.

Ja, das wird wohl so sein. Denn gerade erst ging dem DCP eine kostbare Fotosammlung verloren. Der Blockade leid, stellte der dem Berliner Projekt stets sehr verbundene Modefotograf, Sammler und Galerist F. C. Gundlach seine Fotokollektion den Hamburger Deichtorhallen als Dauerleihgabe zur Verfügung. Und da Gundlach beim Pressetermin anwesend war, gratulierte ihm Schuster in Anspielung auf die Initiative der Hamburger Kultursenatorin zu seinem „Horáková-Haus“, nicht ohne zu betonen, wie froh, nein, wie sehr, sehr froh er sei, ihn anlässlich der Ansel-Adams-Ausstellung begrüßen zu dürfen.

Ansel Adams (1902–1984) nun hat eigentlich immer das Gleiche fotografiert. Den Westen Amerikas, vor allem den Yosemite Nationalpark und die Sierra Nevada, Felsformationen, Baumstrünke und manchmal auch Pflanzen. Er fotografierte seine Motive auch immer auf die gleiche Weise, wobei er wenige deutliche Formen in einen engen Bildausschnitt packte und die Hell-Dunkel-Kontraste sowie die Geometrie der Fläche gegenüber der Bildtiefe betonte. Das Wetter am Himmel interessierte ihn also mehr als die Geologie der Erde. Dem MoMA in San Francisco, dem Ausgangsort der Ausstellung, etwa genügen sieben Bilder, um auf seiner sehr instruktiven Website das Werk Adams’ in all seinen Dimensionen zu analysieren. Adams zielte auf Bilder von höchster Prägnanz. Weil aber Prägnanz spontanen Sinn macht, besitzen seine Fotografien tatsächlich hypnotischen Reiz. Es ist nicht übertrieben zu sagen, dass Amerika die Schönheit seines Landes – dessen Ur- und Sehnsuchtsbild der Westen verkörpert – durch seine Fotografien erfuhr. Ansel Adams hegemoniale Stellung in der Geschichte der amerikanischen Landschaftsfotografie erklärt sich so.

Das immer Gleiche freilich differiert im Detail, gerade bei Adams. Nur das macht die Ausstellung mit ihren 114 Exponaten sehenswert. Dazu unterscheiden sich die Bilder auch im Print, was die eigentliche Besonderheit dieser Retrospektive ist. Denn Adams bestand zeit seines Lebens darauf, eigens für jede Ausstellung Abzüge herzustellen. Die Besucher sahen also immer seine aktuelle Interpretation der Motive. Das war nicht zuletzt ein Schachzug des Fotografen, der zwischen „sakralen“ und „profanen“ Landschaften unterschied, seine Motive für ewig zu erklären und ihre Historizität zu negieren. John Szarkowski gelang es nun, aus den diversesten Sammlungen Originalprints von den Zwanziger- bis zu den Siebzigerjahren zusammenzutragen, was einigen Erkenntnisgewinn bringt. So finden sich zu Beginn Abzüge auf warmem Strukturpapier, wie es die Piktoralisten bevorzugten, mit deren Bildauffassung Adams sonst wenig gemein hatte. Diese Abzüge konnten die Mitglieder des Sierra-Clubs, für den Adams zu Beginn seiner Karriere arbeitete, in jährlichen Portfolios erwerben. 1930, als er Paul Strand kennen gelernt hatte, wechselte Adams schließlich zu hartem Papier mit glänzender Oberfläche, worauf seine modernistisch reduzierten Bildkompositionen erst richtig zum Ausdruck kamen.

Die Feinheit der Unterschiede zwischen den Bildmotiven einerseits und den Abzügen andererseits hätte es natürlich nahe gelegt, dass zur Pressebesichtigung wenigstens eine Liste der Exponate als Thumbnail mit Entstehungsdatum, Provenienz und Datum des Abzugs für die Journalisten bereitgelegen hätte. (Bei einem Katalogpreis von 180 Euro versteht man ja, dass er nicht einfach beim Pressematerial aufliegt.) Doch weit gefehlt. Die Sache mit dem „geistigen Ort“ im Haus scheint sich noch nicht richtig herumgesprochen zu haben. Wichtig ist offensichtlich nur, dass das Fernsehen die Bilder hat, und das Fernsehen braucht keinen Katalog, denn es filmt die über hundert Schildchen neben den Fotos einfach mit. So profan ist die Pressearbeit, das ein Museum (Nationalgalerie? Kunstbibliothek?) für ein anderes macht, das glücklicherweise gar nicht existiert.

Die sakralen Landschaften von Ansel Adams allerdings sind heute gleichfalls höchst fragwürdige Konstrukte. In einem Abzug von 1972, bei dem das Schwarz des Himmels maximal verstärkt wurde, um den Mond und das letzte Licht der Sonne, das über die Berge strahlt, besser hervortreten zu lassen, hängt nun „Moonrise, Hernandez, New Mexiko, 1941“ – die Ikone der amerikanischen Landschaftsfotografie schlechthin – in Berlin. Die Aufnahme eines magischen Naturmoments entstand zu einer Zeit und in einer Region, wo von Los Alamos aus dem Mythos einer unbefleckten Natur radikal der Garaus gemacht wurde. Keine Gegend der Vereinigten Staaten trug und trägt stärker an den Lasten des Kalten Krieges als der Westen der USA, als militärisches Übungsgelände, als Atomklo und Giftmülldeponie der Nation. Hier liegt „America Ground Zero“, wie die Fotojournalistin Carole Gallagher ihre 1993 erschienene Langzeitstudie über die Situation in Nevada und Utah nach der atomaren Verseuchung durch die Atomtests der Vierziger- und Fünfzigerjahre nannte. Diese profane Landschaft nahm Ansel Adams nie zur Kenntnis. „Ich verwahre mich gegen die Unterstellung, dass Fotografie ohne sozialpolitische Funktion für die Menschen allgemein keinen Wert habe“, schrieb er in seiner Autobiografie, obwohl er sich für die Umwelt wenigstens so engagierte wie für die Fotografie. Freilich, hier wie dort wollte er nur das Schöne befördert sehen, die unversehrten Nationalparks und den perfekten Druck.

Bis 5. Januar 2003, Katalog, Christian-Verlag, 180 €. Alternativ:www. sfmoma.org/adams

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