: Hoffnung für Todeskandidaten
Nach etlichen Fehlurteilen und einem Hinrichtungsmoratorium im US-Bundesstaat Illinois unterzieht der republikanische Gouverneur George Ryan jetzt alle Todesurteile einer Überprüfung. Nach neun Tagen Anhörung will Ryan entscheiden
von BERND PICKERT
Seit gestern Vormittag läuft im US-Bundesstaat Illinois die größte Überprüfung von Todesurteilen in der jüngsten US-Geschichte. Auf Anordnung des republikanischen Gouverneurs George Ryan kommen die Fälle von 142 der insgesamt 160 Insassen von Todeszellen in Illinois vor eine Begnadigungskommission. Am Schluss, in neun Tagen, wird die 14-köpfige Kommission Empfehlungen aussprechen, ganz vertraulich und nur für den Gouverneur. Der ist an die Empfehlungen jedoch nicht gebunden. Er kann Begnadigungen aussprechen, etwa Umwandlungen der Todesstrafen in lebenslange Haft, muss es aber nicht. Ryan hat allerdings zu erkennen gegeben, er denke an eine generelle Begnadigung, wenn sich auch nur ein Teil der Fälle als zweifelhaft herausstellen sollte.
Damit allerdings ist zu rechnen. Immerhin stehen mit den ersten sechs Verurteilten, deren Fälle seit gestern um 9 Uhr morgens Central Time im Raum 9-031 des James R. Thompson Centers in Chicago angehört wurden, gleich sechs der so genannten Death Row Ten zur Debatte.
Die zehn Männer, allesamt Schwarze, waren in den 80er-Jahren aufgrund von Geständnissen zum Tode verurteilt wurden, die sie alle im gleichen Chicagoer Kommissariat gegenüber der gleichen Ermittlereinheit abgelegt hatten – durchweg nach brutaler Folter durch die Polizei. Die Gefangenen wurden geschlagen, getreten, mit Elektroschocks und brennenden Zigaretten gequält. Ihnen wurden Pistolen in den Mund geschoben oder Plastiktüten über den Kopf gestülpt, so dass sie dem Ersticken nahe waren.
Nach teilweise mehreren Tagen solcher Folter hatten die Ermittler meist, was sie wollten – die Unterschrift unter ein vorbereitetes Geständnis. Der Chef der Einheit, Jon Burke, wurde wegen erwiesener Folter in über 60 Fällen 1993 vom Dienst suspendiert. Strafrechtlich belangt wurde er nie – er lebt heute in Florida und erfreut sich seiner Pension. Die Urteile wurden nie aufgehoben.
Das unterscheidet die Fälle der Death Row Ten von anderen in Illinois. Ende der 90er-Jahre hatten dort private Ermittlungen der Northwestern University und neue DNA-Tests die Unschuld etlicher zum Tode Verurteilter festgestellt. Die Methoden waren recht einfach und warfen ein Licht auf die Versäumnisse unfähiger Verteidiger, schlampiger Ermittler, rassistischer Jurys.
Am Ende mussten insgesamt 13 Personen aus den Todeszellen als unschuldig freigelassen werden – gegenüber 12 Hingerichteten seit der Wiedereinführung der Todesstrafe in Illinois 1977.
Schließlich zog der republikanische Gouverneur George Ryan die Konsequenz: Im Januar 2000 erließ er ein Moratorium. In Illinois sollten so lange keine Menschen mehr hingerichtet werden, bis die Fehler im System überprüft und ausgebessert seien. Im April diesen Jahres nun gab eine Kommission 85 Empfehlungen für die Verbesserung des Justizsystems ab – umgesetzt ist davon jedoch noch keine einzige. Es liegt nun an der Legislative, die Zeit bis Ende Januar auszunutzen. So lange nämlich ist George Ryan, persönlich stärkster Verfechter des Moratoriums, noch im Gouverneursamt. Seine potenziellen Nachfolger, der Demokrat Rod Blagojevich oder der Republikaner Jim Ryan, haben zwar beide erklärt, das Moratorium bis zur Verabschiedung von Reformen beibehalten zu wollen.
Doch wie weit insbesondere Jim Ryan tatsächlich zu gehen bereit wäre, bleibt unklar – immerhin war er als Generalstaatsanwalt persönlich an zwei der eklatantesten Fehlurteile beteiligt, die später aufgehoben wurden. Und noch Mitte September versuchte er – erfolglos – die jetzt beginnenden Anhörungen gerichtlich untersagen zu lassen.
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