: „Beinahe kabarettistisch“
Annäherungen an die RAF: Ein Gespräch mit der Darstellerin Birge Schade über ihre Rolle in „Baader“ und die reale Ulrike Meinhof, Geschichtstreue und Fiktion sowie den Sprachduktus der Terroristen
Interview CRISTINA NORD
taz: Frau Schade, in „Baader“ geht es vornehmlich um Andreas Baader. Bedauern Sie das?
Birge Schade: Nein, nicht für diesen Film. Dessen Thema ist Andreas Baader, das hat Christopher Roth [der Regisseur] so gewählt. Was ich bedauerlich finde ist, dass es noch keinen Spielfilm über Ulrike Meinhof gibt. Sie ist eine sehr interessante Persönlichkeit, so vielschichtig, dass es sich lohnen würde, über sie einen Film zu machen. Das interessiert mich mehr als die Person Andreas Baader.
Was macht Ulrike Meinhof interessanter als Baader?
Der Bruch in ihrer Biografie. Bevor Baader in den Untergrund ging, hatte er schon an der Grenze zur Illegalität gelebt und im Knast gesessen. Bei Ulrike Meinhof war es etwas anderes. Sie kam aus bürgerlichen Verhältnissen, war ein Star in ihrem Metier, ihre Texte wurden gelesen, sie hatte Familie, Kinder – nun gut, die hatte Baader auch, aber er hat sie viel früher verlassen.
Was wäre denn anders, wenn Ulrike Meinhof nicht Neben-, sondern Hauptfigur wäre?
Wer über Ulrike Meinhof nicht ohnehin schon viel weiß, erfährt in „Baader“ wenig über sie. Wenn man einen Film über sie machte, würde man mehr von der Vorgeschichte erzählen. Wo kam sie her? Was hatte sie gemacht, bevor sie sich der RAF anschloss? Gerade das zeichnete sie ja aus: ihre Artikel für konkret, ihre intellektuelle Schärfe. Davon zehrte ihr Ruf.
Ihr Text über Kaufhausbrandstiftung, der 1968 in konkret erschienen ist, wird aus dem Off zitiert. Man hört Ulrike Meinhofs Stimme, visuell präsent ist sie da aber nicht.
Wenn ich es richtig in Erinnerung habe, wird der Text eingespielt, bevor Ulrike Meinhof zum ersten Mal auftritt. Andreas Baader sitzt nach der Brandstiftung im Knast. Vor sich hat er ein konkret-Heft liegen. Dann hört man ihre Stimme, das Zitat. Erst danach kommt der Prozess, wo man sie sieht.
Der Film hat eine radikale Art zu zeigen, wie Andreas Baader mit den Frauen in der RAF umgegangen ist.
Als ich das Drehbuch las, dachte ich: Was soll denn das? Nachdem ich mit dem Regisseur darüber gesprochen und selbst recherchiert hatte, wurde mir klar, dass das der Umgangston in der RAF war. Die haben sich nicht mit Samthandschuhen angefasst. Für uns war es gewöhnungsbedürftig, wenn Frauen unentwegt als „Fotze“ bezeichnet wurden. Schwer nachzuvollziehen, wie man das aushält.
Für mich war das ein Aspekt des Films, bei dem ich mich fragte: Wie viel ist Fiktion, wie viel basiert auf tatsächlichem Geschehen – oder auf dem, was man heute dafür hält? Die RAFler mögen sich tatsächlich mit „Fotze“ angeredet haben. Trotzdem bleibt die Frage, warum der Film das so prominent behandelt. Wie sehen Sie das?
Es gibt Details, von denen man sagen kann: Das war so. Davon abgesehen ist „Baader“ Fiktion, ein Spielfilm, der sich an die Geschichte anlehnt, an die realen Personen Baader und Ensslin. Das ist legitim, weil man der Wahrheit manchmal mit Erfundenem näher kommt, als wenn man akribisch versucht, dokumentarisch zu sein und sich an die Fakten zu halten. Das geht im Fall der RAF ohnehin nicht, weil schon so viel Mythos mitschwingt. Jeder bringt seine eigenen Fantasien mit, so dass der Weg, den Christopher Roth geht, indem er seine eigene Geschichte baut, eine Möglichkeit darstellt. Nicht die einzige, aber eben doch eine Möglichkeit.
Macht es denn einen Unterschied, ob man eine fiktive Figur spielt oder eine, die auf ein reales Vorbild zurückgeht?
Klar, weil man sich einer realen Figur anders nähert. Eine fiktive Figur kann ja alles sein. Bei einer realen beginnt man, sich für den Menschen zu interessieren, egal, wie klein die Rolle ist. Wobei: Wenn man zu drehen beginnt, ist der Unterschied nicht mehr da. Dann hat man nicht mehr pausenlos das Bild der Person vor Augen. Es geht ja nicht um einen Lookalike-Contest. Man muss nicht genauso aussehen oder sich genauso bewegen oder genauso reden wie das Vorbild. Es geht vielmehr darum, einen Menschen lebendig zu machen, und das macht man mit sich selbst. Man ist als Schauspieler das Material. Sich zu sehr zu verstellen geht auf Kosten der Glaubwürdigkeit. Solange das Drehbuch gut ist, entsteht eine Figur, die etwas mit der realen Person zu tun hat.
Wie haben Sie zu Ulrike Meinhof recherchiert?
Ich habe angefangen, viel über die Zeit zu lesen. Außerdem habe ich mir Dokumentaraufnahmen angesehen – ein Interview zum Beispiel, das ihren Sprachduktus, ihre Haltung plastisch machte. Ich habe das letztlich gar nicht so stark übernommen, weil es so extrem war, wie sie redete.
Warum extrem?
Ich kann das schwer beschreiben. Sie hat etwas in ihrem Sprachduktus, das aus dem ganz starken Bedürfnis kommt, sich zu rechtfertigen. Es ist darin etwas Vorwurfsvolles, etwas sehr Eindringliches. Sie betont auf eine sehr spezielle Art, und sie spricht sehr schnell, als hätte sie pausenlos Angst, dass sie unterbrochen wird. Vielleicht war es früher eine Art Mode, so zu reden. Bei Dutschke ist der Sprachduktus ja auch sehr eigen.
Laura Tonke und Frank Giering, die Darsteller von Gudrun Ensslin und Andreas Baader, haben etwas Ähnliches gesagt: dass es eine große Herausforderung war, sich zu Baaders und Ensslins Sprechweise zu verhalten. Sie konnten sie nicht einfach imitieren, weil diese Sprechweise heute unwahrscheinlich wirkt, sozusagen aus der Zeit fällt.
Wir haben recht viele Texte aufgenommen, die aus dem Off eingespielt werden sollten. Ich habe dabei probehalber Meinhofs Duktus übernommen, so wie ich ihn aus Interviewmitschnitten kannte. Wir mussten das anschließend aber total entschärfen. Denn für jemanden, der nicht weiß, dass in der RAF so geredet wurde, klang es total künstlich, beinahe kabarettistisch.
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