Netz der Schwarzen Witwe

Nörgel & Co.: Erlesene Mutter-Tochter-Verstrickungen in Thomas Bernhards „Am Ziel“ in den Kammerspielen

Ein Drei-Personen-Stück, in dem herzlich wenig passiert, dafür umso mehr geredet wird. Zwei Frauen, die nichts aus ihrem Leben gemacht haben, die eine alt, die andere nicht mehr ganz jung: Mutter und Tochter. Und ein „dramatischer Schriftsteller“, der gerade seinen ersten Erfolg gefeiert hat: Psychologisch stimmig und sprachlich ausgefeilt, hat der melancholische Zyniker und als Beschimpfer Österreichs vielbeschimpfte Dramatiker Thomas Bernhard mit seinem Restfamiliendrama Am Ziel 1981 zwar keinen Eklat erzeugt, aber ganz nebenbei den Theaterbetrieb aufs Korn genommen: die Willkür von Kritiker- und Publikumsgunst, die Eitelkeit und Feigheit der Theaterschaffenden.

Ulrich Waller verlässt sich in seiner Inszenierung an den Kammerspielen auf die Sprachkraft des Autors und auf solides Schauspieler-Theater. Mit Barbara Nüsse als zynisch-dominanter Fabrikantenwitwe, die ihren Mann wegen seines Gusswerks und des Ferienhauses geheiratet hat, ist die Hauptrolle glänzend besetzt. Während Nüsse im ersten Teil des Stücks fast pausenlos redet, Tee trinkt und Kognak kippt, klagt sie unaufhörlich: Über den schmählichen Zustand des Theaters, über die nervtötenden Eigenschaften ihres verstorbenen Ehemanns und schließlich über die Lebensunfähigkeit ihrer Tochter (Annette Uhlen).

Die hört zu und schweigt. Während Nüsse ihre Gemeinheiten in nüchtern-reflektiertem Ton ohne jede Selbstkritik von sich gibt, sitzt sie mit übereinander geschlagenen Beinen auf einem Ohrensessel und lässt sich von der Tochter bedienen. Abwechselnd guckt Nüsse verächtlich, arrogant und selbstgefällig – immer aber ist sie herrschsüchtige Egozentrikerin. Annette Uhlen dagegen verkörpert die devote Tochter, hörig bis zur Debilität.

Als der Dramatiker (Tim Dominick Lee) Mutter und Tochter besucht, droht das Machtgefüge zu kippen. Anfangs genießt der Autor die anhimmelnden Blicke der Tochter und guckt recht blasiert aus seinem Intellektuellen-Outfit. Doch zusehends gerät er in die verbalen Fänge der schwarzen Witwe.

Am Ziel ist das Porträt einer klugen Frau, die ihre Intelligenz tragischerweise ausschließlich zur Demütigung anderer Menschen einsetzt. In Wallers puristischer Inszenierung entfaltet sich diese Tragik in ihrer ganzen Grausamkeit – ganz ohne Gefühlsverstärker wie Musik, Video oder Mikro – vor naturalistisch-schlichter Kulisse. Karin Liebe

Nächste Vorstellungen: 19. bis 21. Oktober, 20 Uhr, Kammerspiele