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„Ich bin verknallt in diese Stadt“

Adrienne Goehler, Kuratorin des Hauptstadtkulturfonds, hat ein klares Berlin-Bild: Die Politik repräsentiert nicht, was in der Stadt los ist. Die PDS ohne Mut, der Mentalitätswechsel vergeigt, die Unis ohne Beatmung von außen. Zum Glück sorgen andere hier für das spannendste Klima Europas

Interview ROLF LAUTENSCHLÄGER und ADRIENNE WOLTERSDORF

taz: Frau Goehler, ihr Engagement als Abgeordnete, als Hochschulpräsidentin und Ihr Posten als Berliner Kultursenatorin haben Sie als praktische Übung für Ihre Doktorarbeit bezeichnet. Die trüge den Titel „Sadomasochistische Grundlagen von Institutionen“. Ist der Feldversuch nun beendet?

Adrienne Goehler: Ich bin noch nicht entschieden. Ich habe unterschätzt, was es bedeutet, nach 16 Jahren Frontkämpferinnen-Dasein zurückzutreten. Da fällt so eine ganze Menge ab. Ich habe noch keine Struktur gefunden, die mich glauben lässt, dass ich mich nun an eine dicke, fette Doktorarbeit setze und loslege.

Werden Sie weiterhin zum Sadomasochismus ein affirmatives Verhältnis pflegen?

Fragen Sie mich mal in einem halben Jahr, noch bin ich in der Vorfeldermittlung. Verunsichernd für meine These ist, dass ich in der Berliner Kulturverwaltung eine relativ gute Erfahrung gemacht habe. Das hat mich von meinem Ingrimm und meinem Brass auf Institutionen abgelenkt.

Heißt das im Umkehrschluss, dass die Berliner Kulturpolitik frei von selbst- und fremdquälerischen Elementen ist?

Die Kunst ist es jedenfalls nicht. Meine Analyse bezieht sich zunächst einmal auf die Institutionen, wo es ungeheure Hierarchien und Abschnittsverantwortlichkeiten gibt. Da regiert dieses Paar aufs Heftigste. Institutionen sind so geprägt, weshalb ich hoffe, dass man zu anderen Strukturen findet, mit Teams für Projekte, die nach Lösung eines Problems wieder auseinander gehen. Ich wünsche mir, dass die festgefügten Amtsorganigramme, die es jetzt gibt, eine Durchlüftung erfahren. Das wäre eine absolut notwendige Institutionenreform.

Wie heißt Ihr neuer Posten?

Ich kann’s schon auswendig: Kuratorin des Hauptstadtkulturfonds. Das ist fast Etikettenschwindel, denn eine Kuratorin darf aussuchen. Ich hingegen habe einen Beirat, der mir Empfehlungen gibt. Und dann noch eine gemeinsame Kommission, bestehend aus Bund und Land. Die sagt oh, oh oder na ja. Es ist aber ein sehr interessanter Job, finanziell allerdings nur wenig rentabler als Ehrenamtlichkeit.

Sind das Brosamen für Ihren Feuerwehreinsatz nach dem Koalitionskrach in der Hauptstadtkultur?

Nee, nee, ganz im Gegenteil. Ich habe deutlich gesagt, dass ich das gerne machen würde. Es erscheint mir lohnend, nach dem Crashkurs, den ich in der Berliner Kulturpolitik als Senatorin absolvierte. Da war ich immer nur so dadadada, drei Minuten irgendwo. Ich will das jetzt substanziieren. Es ist sehr angenehm, Zeit zu haben, mit KünstlerInnen tatsächlich zu sprechen und herauszufinden, aha, wo die Leerstellen dieser Stadt sind.

Wie sieht das aus, wenn Sie Leerstellen füllen?

Die Frage ist, wo man in diese ungeheuer umfassende, ich sage in Anführungsstrichen, Berliner Off-Szene, Infrastruktur legen kann, damit die KünstlerInnen nicht zu viel Geld für Kram wie Pressearbeit, Raumbeschaffung, Geräte und andere Strukturen ausgeben müssen. Es braucht unbedingt so etwas wie eine selbst organisierte Künstleragentur.

Der Hauptstadtkulturfonds hat den Auftrag, innovative Projekte zu fördern. Welche Projekte wird es denn geben?

Der Bogen wird sich ziemlich weit spannen. Von endlich Einzelausstellungen für Louise Bourgeois und Valie Export bis hin zu experimentellen Gruppen, die noch keiner kennt. Das ist ja das Spannende, hier gibt es keine Abgrenzung zwischen Hoch- und Off-Kultur. Auch beim Theater. Vielleicht könnten da alteingeführte Institutionen Patenschaften für eine junge Produktion übernehmen. Nur so kommt ein Fluss rein in dieses institutionelle Entweder-Oder, was es ja so in der künstlerischen Praxis auch gar nicht mehr gibt. Wir haben über 20 Prozent nichtdeutscher AntragstellerInnen, die hier arbeiten und leben. Das macht sehr viel aus, diese Menschen mit ihrem Blick von außen, die dann aber auch künstlerisch Teil dieser Stadt werden. In Berlin ist einfach das spannendste Klima Europas zu finden.

Wenn dem so ist, warum merken wir so wenig davon?

Wenn das Feuilleton die Auswahl zwischen einem Opernkrach und einem experimentellen internationalen Projekt hat, dann ist klar, was gedruckt wird. Die Medien verstärken den Blick auf die große Kultur. Das prägt die Stimmung hier sehr. Die schlechte Stimmung liegt aber nicht daran, dass die Stadt nicht vital wäre und nicht immer noch ständig neue Plätze entdeckt werden. Schwierig ist, dass sich dieses Disparate, was die Spannung hier ausmacht, nicht so leicht, plopp, als ein dickes Pfund auf den Tisch legen lässt.

Dennoch haben Sie und der Hauptstadtkulturfonds bislang nur KünstlerInnen gefördert, die schon irgendwie da waren, bekannt sind. Da gab es nichts Spektakuläres.

Es muss auch gar nicht spektakulär sein im Sinne von Event. Es geht vielmehr um Entwicklungen, um künstlerische Suchbewegungen. Die halte ich für das eigentlich gesellschaftlich Relevante. Denn von der Kunst und ihren Bewegungen zwischen Irrtum und Erfahrung ist eine ganze Menge zu lernen. Außerdem ist es wichtig, schon existierende, halbwegs bekannte Gruppen fit für einen internationalen Weg zu machen.

Hat denn Berlin überhaupt gelernt, unkonventionell mit dem Existierenden umzugehen? Sind die Lösungsansätze hier nicht stockprovinziell geblieben?

Finden Sie? Ich bin verknallt in diese Stadt. Mit Verknallten kann man ja über Schattiges nicht so richtig reden.

Na schön, wegen grober Subjektivität der Befragten wechseln wir das Thema. Es gibt im neuen Bundeskabinett auch eine neue Staatsministerin für Kultur, und die heißt Christina Weiss. Wird sie ein offenes Ohr haben für die arme, gebeutelte Hauptstadtkultur?

Was ich so höre, lässt hoffen, dass es so schlecht nicht aussieht. Ich bin jedenfalls sicher, dass Christina Weiss mit ihrer zähen, freundlich-diplomatischen Art schon viel bewegen wird. Sie wird peu à peu aus ihrem Amt ein vollwertiges Ministerium machen. Wichtig wäre allerdings, dass auch die Grünen und ihr Außenminister verstehen, dass auswärtige Kultur durch sein Amt nur schwach vertreten wird. Dabei ist Kultur eine immer wichtigere Transporteurin von Außenpolitik.

Trifft denn Christina Weiss bei den Verhandlungen um den Haupstadtkulturvertrag auf Personal, das Berlin mit Verve vertritt und den Bund gewinnen kann?

Also, Kultursenator Thomas Flierl muss ja nun nicht alles neu erfinden. Es war schon zu meiner Zeit klar, dass der Hauptstadtkulturvertrag zeitlich, inhaltlich und finanziell fortgeschrieben werden muss. Darüber hinaus ist die Frage nach der Rolle, die die neue Hauptstadt für die Nation spielt, sehr bedeutend. Das ist keine Personalfrage.

Braucht Berlin jetzt, wo es nur noch um die nicht vorhandene Kohle geht, nicht einen Impresario? Eine Person, die dem Bund auch mit Stärke entgegentritt?

Der von Ihnen geforderte Impresario, der die Notwendigkeit der Unterstützung durch den Bund am deutlichsten rüberbringen kann, muss natürlich der Regierende Bürgermeister sein.

Tut er das?

Man kriegt davon wenig mit. Das ist diesem Modell „nach der Wahl ist vor der Wahl“ geschuldet. Da wird man ja narrisch! Es fehlt in der Stadt ein Gegenüber, mit dem sich die grundständigen Probleme erst analysieren und dann lösen lassen. Alles hat so eine Kurzatmigkeit, durch die man selbst nicht gerade besser im Denken wird.

Und der jetzige Kultursenator? Ist der auch kurzatmig?

Dazu sage ich nix, ich bin seine Vorgängerin. Im Moment wird, glaube ich, nicht deutlich, wohin die Kulturpolitik will. Wo ist die rote Linie, die der Kultursenator definiert und sagt, darüber hinaus geht gar nichts? Auch im Senat wurde darüber nicht grundsätzlich debattiert. Es gab keine Analyse der Stärken dieser Stadt, oder ich habe sie zumindest nicht mitbekommen. Was brauchen wir unbedingt?

Die Politiker rennen doch dauernd durch die Stadt und wiederholen, Berlin sei Stadt des Wissens und der Kultur.

Naja, ich erwarte dann aber auch, dass sich das beim Geld, oder besser gesagt beim Sparen, ausdrückt. Der erste Sparbeschluss, nämlich das Uniklinikum Benjamin-Franklin zur Disposition zu stellen, war ja eine Katastrophe. Ich bin wirklich überrascht, dass man in dieser nicht wegzudiskutierenden Krise nicht die klugen Köpfe aus den Wissenschaften –und wir haben hier super WissenschaftlerInnen –, dass man die nicht zusammenholt und sie bittet, ihre Forschungen für ein Jahr oder so auf die Frage zu lenken: Wie kommt Berlin aus der Krise.

Und wo sehen Sie da Potenziale?

Berlin wird nie mithalten können mit anderen Regionen, was das Bereitstellen von Forschungsgeldern angeht. Wir können nur mit einer großen Interdisziplinarität darüber nachdenken, wo wir Linien ziehen, damit es billiger und effektiver wird. Dazu muss die Politik aber mit den Leuten aus der Wissenschaft reden und sich nicht von Expertenkommissionen Vorgaben von außen machen lassen, die dann vielleicht nur wenig Akzeptanz finden. Wissenschaft und Kultur sind, vom Wirtschaftlichen her gedacht, die einzige Zukunfschance, die die Region zum Überleben hat. Da darf die Politik nicht mehr nur in Ressorts denken.

Was raten Sie als ehemalige Hochschulpräsidentin und Wissenschaftssenatorin? Kann und soll man die Berliner Universitäten fusionieren, zu Stiftungsuniversitäten oder Privatunis ummodeln?

Ich habe gelernt, dass Zusammenlegen nicht immer billiger ist. Ganz im Gegenteil. Ich glaube aber, wir müssen eine ganze Menge an der Lehrstruktur tun, denn wir können uns diese Lebenslänglichkeiten nicht mehr erlauben. Es muss eine Vielfalt von Instrumentarien geben, wir brauchen Gastprofessuren, müssen die Lehrkörper internationalisieren, statt nur die Internationalisierung der Abschlüsse zu betreiben. Ich finde, es muss viel mehr Bewegung in die Häuser kommen. Ins Hochschulgesetz hätte ich dazu gerne eine Experimentierklausel eingebaut, um Lehrverhältnisse grundsätzlich neu zu gestalten, um ein Beatmen von außen zuzulassen. Zum Beispiel das Otto-Suhr-Institut der FU, das OSI. Da muss mal einer von denen Staatssekretär werden und hinterher wieder Politik unterrichten. Wir brauchen mehr Stellungswechsel.

Hätte die PDS nicht neuen Wind reinbringen können in die verstaubte, inzestuöse Berliner Politik?

Ich sehe, dass die PDS sich strukturell wenig traut. Sie hat eine sehr staats- und prinzipientragende Art des Denkens und Vorgehens. Da springt kein Funke, nirgends. Kein Esprit. Und sie sprechen nicht. Dabei wäre eine Kraft in dieser Stadt vorhanden, mit der sich unterschiedliche Wege ausprobieren ließen. Stattdessen sitzen hier alle in so einer Warteposition.

Hat der viel beschriene Mentalitätswechsel also nirgendwo stattgefunden?

Nö, der ist vergeigt.

Heißt das auch, dass es keine Ideen, keine Innovation für Berlin gibt?

Nein, nein, nein. Die politische Klasse repräsentiert nicht das, was in der Stadt los ist. Das tun auch die so genannten neuen Macher nicht. Nicht wenige von ihnen sind mit Gaga-Vorstellungen nach Berlin gekommen. Zum Beispiel Galeristen aus Hamburg, die dachten, hier liegt an jeder aufregenden Ecke ein Goldnugget. Berlin ist auch jetzt noch eine riesige Projektionsfläche für ErfinderInnen. Impulse, die von Initiativen und Projekten kommen, haben nichts mit dem zu tun, was da oben in der Entscheidungsträgerklasse los ist. Wenn Politik endlich begreift, dass sie mehr Raumgeberin als Definitionsgeberin ist, dann kann da was draus werden.

Sie selbst haben Ihr Leben immer als „Leben im Übergangsstadium“ definiert. Bleibt es dabei?

Jetzt habe ich mir mal ein Luftnest gebaut. Ich möchte gerne Botschafterin von Berlin werden. Die Stadt mit ihren Übergängen fixt mich an, hier bin ich richtig.

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