: Der Allmächtige als Rockstar
Zusammen mit Matt Garrison, dem Sohn des klassischen Coltrane-Bassisten Jimmy Garrison, Hendrix-Interpret Jean-Paul Bourelly und dem Ex-“Living Coulour“-Schlagzeuger Will Calhoun: Der Saxophonist Pharoah Sanders in der Fabrik
von MATTHIAS SEEBERG
Mit John Coltrane verbindet ihn die Suche nach dem richtigen Mundstück und die Sehnsucht, dem Plan des Allmächtigen musikalisch so nahe wie möglich zu kommen. Die Rede ist von Pharoah Sanders, dem nach Sonny Rollins ältesten Jazz-Saxophonisten dieses Universums, dessen Erfolge bis weit in die 60er Jahre zurückreichen und der heute in der Fabrik zu hören sein wird.
Mit Bill Clinton, von dem es auch heißt, er spiele Saxophon, verbiete sich aber das Inhalieren, verbindet ihn die Geburtsstadt. 1940 in Little Rock, Arkansas geboren, war Pharoah Sanders zu Beginn der 60er ein Teil des sagenumwobenen Orkestra von Sun Ra, und bastelte zusammen mit Don Cherry, Ornette Coleman und Albert Ayler am nach und nach die Jazzwelt erschütternden Kosmos des Free Jazz. In Coltranes späten Ensemble verblüffte Pharoah Sanders vor allem durch die Gabe der simultanen Improvisation, die selbst eingefleischte Kritiker im Zweifel darüber ließ, wann sie Sanders und wann seinem Spiritus Rector lauschten.
Nach Coltranes Tod und dem Hören der Solo-Flöten-Aufnahmen von Paul Horn aus dem Taj Mahal, perfektionierte Sanders die Technik des circular breathing, die ihm die Möglichkeit bot, sich unendlichen Ausflügen durch die Seele des Allmächtigen hinzugeben. Sein schon von Coltrane gepriesenes spirituelles Reservoir kommt wohl bis heute am deutlichsten im oft gecoverten und zum ultimativen Grundrepertoire jeder Diskussion über Jazz und Avantgarde gehörigen The Creator Has A Masterplan zum Ausdruck. Die auf dem 69er Album Karma verewigte 30-minütige Version vom Schöpfer und seiner verborgenen Grundidee gilt vor allem wegen des mitwirkenden Leon Thomas und seiner als Soularfone bezeichneten Jodeltechnik als so genannter Meilenstein.
Seitdem hat das Ausmaß dieses interstellaren Essenzialismus ein wenig abgenommen, aber Pharoah Sanders ist nach wie vor mit verschiedenen saxophonischen Klangvisionen und nicht nachlassender afrozentristischer Orientierung auf der Suche nach dem richtigen Sound.
Auf Message from Home erhoffte er sich vor acht Jahren einiges von der Zusammenarbeit mit Bill Laswell. Es war das Spannungsfeld zwischen Sanders‘ altafrikanischen Wurzeln und der zukunftsorientierten Musik Laswells, mit dem man die Jazzgemeinde der 90er zu begeistern gedachte, und in dem Stück Our Roots (Began in Africa) fand diese Melange ein zufrieden stellendes Resultat. Ganz im Gegensatz zum darauf folgenden Album Save Our Children, das mit seinen indischen Perkussionen über düsteren Keyboardsounds und den viel zu seltenen Saxophonschreien dann doch eher nach Allerweltsmusik klang.
Zwar war trotz allem die Tatsache beruhigend, das Pharoah Sanders seine Live-Auftritte größtenteils mit phantasmagorischen Improvisationen aus seiner Coltrane-Zeit gestaltete, aber man fragt sich, was mit dem jetzigen Projekt geboten wird. Das muss zwar starbesetzt genannt werden, es könnte aber perfektionistischer Rock-Jazz drohen.
Zur Besetzung auch am heutigen Abend gehört nämlich neben Matt Garrison, dem Sohn des klassischen Coltrane-Bassisten Jimmy Garrison, Jean-Paul Bourelly, der als virtuoser Hendrix-Interpret gehandelt wird und schon mit Miles Davis, Elvin Jones und dem Noise-Künstler Elliott Sharp zusammenarbeitete. Und am Schlagzeug sitzt Will Calhoun, dessen Beat keinen Geringeren als Living Colour zu ihrem zweifelhaften Image verhalf.
Vor einigen Jahren warb Pharoah Sanders für seine Projekte mit dem Versprechen: „Wenn die Leute kommen, um meine Musik zu hören, die Musik, die wir jetzt machen, anstatt sich immer wieder meine alten Platten anzuhören, dann setze ich vielleicht auch mal die Brille ab.“ Also, mal sehen ob es gelingt, dem Pharao des Jazz heute abend in die Augen zu schauen.
heute, 21 Uhr, Fabrik
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