: Lehrerlose Zeiten in Hamburg
Fachbereich Erziehungswissenschaft schlägt Alarm: Lehrerausbildung deckt den kommenden Bedarf nicht. Von den Pädagogen, die bis 2012 in Pension gehen, kann nur jeder zweite ersetzt werden. Schulbehörde verspricht Bedarfsprognose
von KAIJA KUTTER
„Ich habe Platzangst, du auch?“, stand auf den T-Shirts der Tutoren, die gestern früh rund 770 neue Lehramtstudenten im Hörsaal des Pädagogischen Institutes begrüßten. „Ich bin sauer auf Sie“, sagte der Studentenvertreter Christoph König zum Dekan Meinert Meyer. Dieser sei in seiner Begrüßungsrede nicht auf die Probleme am Fachbereich eingegangen. Dass es eine Seminarbegrenzung auf 30 Teilnehmer gibt, zum Beispiel, weil die Behörde kein zusätzliches Geld für die 485 Studierenden bereitstellt, die 2001 zu viel aufgenommen wurden. Und dass es jetzt wieder 130 zu viel sind.
Doch Meyer sieht sich zu Unrecht attackiert, habe er doch mit der Behörde um mehr Geld gerungen. Er verteilt an die Journalisten eine Statistik, die ganz neue Fragen aufwirft. Denn eigentlich sind auch 770 zu wenig, müssten viel mehr junge Leute die Lehrerausbildung beginnen. „In den nächsten zehn Jahren wird die Hälfte der Hamburger Lehrer pensioniert, davon wiederum die Hälfte können wir nicht ersetzen“, erklärt Prodekan Johannes Bastian. Bis zum Jahr 2018 gehen nach Meyers Statistik in Hamburg gar 12.238, also 90 Prozent der heutigen Lehrer in Rente. Um sie zu ersetzen, fehlen bei jährlich 500 Absolventen rund 4000 Pädagogen.
„Die Politik wird erst reagieren, wenn die Eltern rebellieren“, glaubt Meyer. „Aber dann ist es zu spät.“ Studium und Referendariat dauern mindestens acht Jahre. Überfüllung und Plätzemangel tun ihr Übriges, um die Zeit zu verlängern.
Deshalb müsste man, so Meyer und Bastian, die Kapazität des Fachbereichs dringend erhöhen. Und man brauche einen „Einstellungskorridor“, der sicherstellt, dass die jetzt fertig gewordenen Lehrer nicht in andere Bundesländer abwandern, weil Hamburg sie nicht übernimmt. Meyer: „Wir verlangen von der Schulbehörde eine Bedarfsprognose, in der sie sagt, welche Lehrer in welchen Fächern sie in absehbarer Zeit einzustellen gedenkt.“
Noch im Herbst, so verspricht Schulbehördensprecher Hendrik Lange, soll ein solcher Einstellungskorridor für die nächsten 15 Jahre festgelegt werden. Allerdings müsse man erst noch die Prognose zur Schülerzahl aktualisieren. Diese soll bis 2020 um knapp zehnt Prozent sinken.
Ob das reicht, um die Probleme zu lösen? Meyer geht davon aus, dass selbst bei einer Verschlechterung der Schüler-Lehrer-Relation durch weitere Sparbeschlüsse „Hamburg seinen Bedarf nicht decken kann“. Für die gestrigen Studienanfänger ein schwacher Trost: Sie werden, wenn sie fertig sind, begehrt sein.
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