: Lebendig zu Grabe getragen
Obdach- und Wohnungslose demonstrieren gegen drohende Schließung von zwei Tagesstätten. Arbeitsgruppe fordert von Bezirken gesamtstädtische Zusammenarbeit
Noch leben die Projekte für Wohnungslose, auch wenn die schwarzen Särge mit der Aufschrift „Tee-und Wärmestube Neukölln“ kein gutes Omen waren. Mit ihnen haben gut 80 Obdach- und Wohnungslose gestern auf dem Alexanderplatz symbolisch gegen die drohende Schließung von zwei Tagesstätten für Wohnungslose (Wotas) in den Bezirken Mitte und Neukölln demonstriert. Bis zum Jahresende werden die Mittel für die Stätten um ein knappes Drittel gekürzt. Die Arbeitsgruppe Berliner Wohnungslosen-Tagesstätten (AGBW) befürchtet nun, dass die Einrichtungen schließen müssen. Die Wohlfahrtsverbände schätzen, dass in ganz Berlin rund 6.000 Menschen auf der Straße leben.
Für den wohnungslosen Borris Zapp und die anderen Klagemarsch-Teilnehmer würde mit der Schließung der Tee-Stube nicht nur ein Platz zum Aufwärmen oder Duschen wegfallen. Vor allem soziale Kontakte gingen verloren, wie Zapp während des Klagemarsches betonte. „In den Tagesstätten haben wir Ansprechpartner“, sagte er. Zapp geht regelmäßig in Wotas, obwohl der 43-Jährige seit vier Jahren in einem Wohnheim wohnt. Einen „Kommunikationsplatz“ nennt er die Wota, einen Ort, an dem man Informationen, Beratung und Hilfe bei Behördenangelegenheiten bekommt. Die Sozialpädagogin Jelle Brehmer vom Soziokulturellen Treffpunkt Mitte bestätigt die soziale Funktion. „Vor allem unsere Gruppenangebote wie Theater-AGs oder die Siebdruckwerkstatt finden deshalb großen Zulauf“, so Brehmer.
Für die Bezirke dagegen fällt mit der Kürzung der Mittel ein Posten im knappen Haushalt weg. „Leider gibt es keinen rechtlichen Anspruch auf Zuwendungen“, bedauerte der Sprecher der AGBW, Karsten Kull. Momentan hänge die Finanzierung der Einrichtungen nur vom guten Willen der einzelnen Bezirke ab, die alle sparen müssten, so Krull. Und um den ist es mit zunehmendem Sparzwang nicht gut bestellt. Seit dem vergangenen Jahr sind in Berlin bereits zwei von zwölf Tagesstätten geschlossen worden – eine in Reinickendorf und eine in Pankow.
Der AGBW befürchtet daher, dass das bisher gute Angebot in Berlin nicht mehr flächendeckend bleiben werde. „Einige Bezirke, wie auch Mitte, engagieren sich immer noch gut, andere wollen die Klientel Obdachlose über Kürzungen vertreiben“, meint Krull. Er plädiert für eine gesamtstädtische Lösung, die entweder einen finanziellen Ausgleich zwischen den Bezirken ermöglicht oder dadurch erreicht wird, dass der Senat wieder die Zuständigkeit übernimmt. Seit dem Aufgabenzuständigkeitsgesetz von 1997 verfügen die Bezirke über eine Finanzhoheit. Dass diese wieder zurückgenommen wird, sei jedoch unrealistisch, so die Sprecherin der Senatsverwaltung für Soziales, Roswitha Steinbrenner. Dennoch unterstütze ihr Haus eine gemeinsame verantwortliche Lösung. „Seit vielen Wochen führen wir Gespräche, moderieren zwischen den Bezirken und werden nochmals in Beratung mit den Stadträten gehen“, sagte Steinbrenner. SUSANNE LANG
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