: Die Null vor dem Komma bleibt
In ihrem Herbstgutachten korrigieren die deutschen Wirtschaftsinstitute die Wachstumsprognose für 2003 um einen Prozentpunkt nach unten
aus Berlin KATHARINA KOUFEN
Ein düsteres Szenario, das Gustav Horn gestern in Berlin entwarf: „Wenn Deutschland sich auch im nächsten Jahr so weiterentwickelt, befinden wir uns womöglich auf dem gleichen Weg wie Japan“, sagte der Chef der Konjunkturabteilung des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) bei der Vorstellung des Herbstgutachtens. Japan befindet sich in einem nicht endenden Wechsel von Rezession und Deflation und gilt Ökonomen als Horrorbeispiel.
Seine Prognose belegt das DIW mit Zahlen: Nur um 0,9 Prozent werde die Wirtschaft 2003 wachsen, dieses Jahr sogar nur um 0,4 Prozent. Allerdings ist das DIW traditionell pessimistischer als die anderen fünf Institute, die am Herbstgutachten der deutschen Wirtschaftsinstitute beteiligt sind. Diese prognostizieren für 2003 ein Wachstum von 1,4 Prozent, pflichten dem DIW aber in einem bei: 2002 schrammt Deutschland nur haarscharf an einer Rezession vorbei. Damit haben die Institute ihre Prognosen im Vergleich zum Frühjahr um einen ganzen Prozentpunkt heruntergeschraubt.
Die Korrektur nach unten habe drei Gründe, sagte Hiltrud Nehls vom Rheinisch-Westfälischen Institut für Wirtschaftsforschung (RWI), die während der Vorstellung des Gutachtens als einzige Ökonomin zwischen sechs männlichen Kollegen saß: „Der Aktiencrash, die Irakkrise mit ihren steigenden Ölpreisen und der gestiegene Eurokurs.“ Als hinderlich für den Aufschwung werten die meisten Institute außerdem, dass die Lohnforderungen „ihren zurückhaltenden Kurs verlassen haben“. Das DIW sieht auch das anders. Horn: „Höhere Löhne waren schon wegen der steigenden Nebenkosten nur gerecht.“
Eine weitere Bremse: die Pläne der Koalition, Steuern zu erhöhen und Ausgaben zu kürzen. Dies könnte im nächsten Jahr rund einen halben Prozentpunkt Wachstum kosten, sagte Joachim Scheide vom Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW). Notwendig sei eine Politik der Wachstumsförderung: Die Regierung solle mehr für Investitionen und weniger für „konsumptive Ausgaben“ – dazu gehört zum Beispiel die Erhöhung des Kindergelds – tun. Steuererhöhungen hingegen sehen die Institute pauschal als schädlich an, „weil die Richtung falsch ist“.
Das geringere Wachstum werde sich auch auf die Beschäftigung auswirken, prognostizieren die Experten. Schröders Ziel, die Zahl der Arbeitslosen auf dreieinhalb Millionen zu senken, rückt damit vollends außer Reichweite: Für nächstes Jahr erwarten die Gutachter in Deutschland 4,1 Millionen Menschen, die keinen Job haben. Das sind noch einmal 500.000 mehr als in diesem Jahr. Die sechs Konjunkturforscher warnen gleichzeitig vor zu hohen Erwartungen an die Hartz-Kommission. Die Vorschläge führten lediglich zu einer „effizienten Verwaltung der Arbeitslosigkeit“, beseitige aber die Ursachen des Jobmangels nicht, mahnte Horn.
Wenigstens einen Lichtblick ließen die Experten gestern durchschimmern: In Ostdeutschland wachse die Wirtschaft 2003 erstmals seit 1997 wieder stärker als im Westen – nämlich um 2,3 Prozent. Dies sei eine Folge der Flut, die der Bauwirtschaft geholfen habe. Udo Ludwig vom Institut für Wirtschaftsforschung in Halle warnt allerdings, es handle sich lediglich um „ein Zwischenhoch“. Optimistisch fällt auch der Blick auf die Haushaltssanierung aus: Schon 2003 werde das Defizit nur noch 1,9 Prozent betragen und damit wieder unter der Dreiprozentgrenze des EU-Stabilitätspakts liegen.
Apropos Stabilitätspakt: Der gehöre „grundlegend reformiert“, so Horn und Ludwig gestern übereinstimmend. Statt des bisher gültigen „Defizitziels“, die Neuverschuldung bis zu einem bestimmten Zeitpunkt auf null herunterzufahren, plädieren die beiden Institute für „eine Orientierung an Ausgabenzielen“. So könnte für jedes Jahr eine Senkung der Ausgaben um zwei Prozent festgelegt werden – vorausgesetzt, die konjunkturelle Lage erlaubt es. Horn: „Das wäre, im Gegensatz zum Stabilisierungspakt, nicht dumm.“
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