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Out of Rosenheim

Eine junge Redaktion tief in Oberbayern lehnt sich gegen das Informationsmonopol der CSU-nahen Regionalzeitung auf. Mitten in der Medienkrise erscheint am kommenden Samstag die zweite Ausgabe der „Rosenheimer Nachrichten“

aus RosenheimJÖRG SCHALLENBERG

Überparteiich. Tatsächlich, überparteiich steht da. – „Wir sind wahrscheinlich die einzige Zeitung, die in ihrer ersten Ausgabe auf der ersten Seite das erste Wort falsch schreibt“, sagt Chefredakteur Eike Schlüter und seufzt. Dabei wäre das erste Wort doch so wichtig gewesen. „Überparteilich – unabhängig – modern“ sollte eigentlich als Slogan über dem Kopf der Rosenheimer Nachrichten stehen, als sie am Samstag vor einer Woche zum ersten Mal erschienen ist. Die drei Adjektive sind, wenn man sie denn ernst nimmt, für Rosenheim eine kleine Revolution.

In der oberbayrischen 60.000-Einwohner-Stadt gab es bisher überhaupt nur eine Zeitung – wie in rund drei Viertel aller Stadt- und Landkreise in Deutschland. Doch in Rosenheim gibt es eigentlich auch nur eine Partei – wie in fast ganz Bayern. Und die beiden Monopolisten, das Oberbayrische Volksblatt und die CSU, verstehen sich prächtig. Das hat Eike Schlüter selbst erlebt. Nach seinem Studium als Medientechniker hat er ein halbes Jahr für die Internetausgabe des Oberbayrischen Volksblatts gearbeitet.

Sein „jugendlicher Idealismus“, wie er es selbst nennt, wurde dabei auf eine harte Probe gestellt. „Mit dem journalistischen Ethos, das ich im Studium gelernt habe, hatte die Arbeit da einfach wenig zu tun.“ Hofberichterstattung für die CSU sei der Alltag gewesen. Missliebige Gerichtsurteile gegen örtliche Wirtschaftsgrößen seien erst gar nicht abgedruckt worden, politische Gegner habe man abgewürgt. Der 26-Jährige sah nur den Ausweg, selbstständig etwas zu ändern. Mit wenigen eigenen Mitteln startete er vor einem Jahr den Vorläufer der Rosenheimer Nachrichten im Internet. Ein Online-Magazin, das lokale und regionale Themen journalistisch aufgriff, schlicht, um das Monopol aufzubrechen, eine Informationsalternative zu schaffen.

Jetzt gibt es die Rosenheimer Nachrichten auf rosafarbenem Papier. Aufwändig layoutet soll die Zeitung alle 14 Tage, später wöchentlich erscheinen.

Ein gewagter Schritt in einer Zeit, in der Rezession und Anzeigenflaute etablierte Blätter in die Knie zwingen und Ressorts reihenweise gestrichen werden. Gestern erst hat der Bundesverband deutscher Zeitungsverleger (BDZV) in Hamburg seinen Krisenkongress beendet – mit einer Strategiedebatte.

Schlüters Strategie steht auf der Homepage des BDZV: „Der Heldenplatz des Journalisten ist im Lokalen.“ Hellmuth Karaseks These haben die jungen Rosenheimer Redakteure allerdings etwas abgewandelt kennen gelernt. Nicht gegenüber Lokalpolitikern mussten sie sich behaupten, sondern gegen Kollegen. Ein Anzeigenblatt mit verlegerischer Anbindung an das Oberbayrische Volksblatt schickte eine Abmahnung. „Rechtlich völlig haltlos: Wir würden unerlaubt den Namen ‚Rosenheim‘ im Titel tragen,“ beschreibt Eike Schlüter die Schikanen. „Es wurde auch Druck ausgeübt auf die Leute, die bei uns Anzeigen schalten.“

Doch die Crew um die rund fünf Stammredakteure ließ sich dadurch nicht einschüchtern. Sie glauben, dass es reicht, die Rosenheimer Nachrichten einfach nur nach journalistischen Kriterien ordentlich zu machen. Bei ihrer Berichterstattung achten sie peinlichst genau auf Ausgeglichenheit. Dazu treibt sie auch der reine Selbsterhaltungswille. „Hier eine alternative Zeitung für die Opposition aufzubauen, wäre völlig sinnlos“, meint Schlüter, die würde wahrscheinlich kaum Leser finden: Selbst auf der Homepage www.rosenheimer-nachrichten.de hat die CSU eine bequeme Mehrheit von 40 Prozent, gefolgt von der Ökokonservativen Partei ÖDP.

Ausgeglichenheit ist auch den Anzeigenkunden wichtig, die sich laut Schlüter genauso über die Alternative gefreut haben wie die Leser. Für die erste Ausgabe genug zusammenzubekommen, sei leichter gewesen, als erwartet. Doch die Auflage soll von den anfänglich 52.000 mindestens auf 80.000 steigen, sonst trägt sich das Projekt nicht. Ihre Überlebensfähigkeit müssen die Rosenheimer Nachrichten noch beweisen, aber Eike Schlüter ist zuversichtlich, die richtige Nische gefunden zu haben. Und die gibt es, meint er, eigentlich überall dort, wo bisher nur eine Zeitung erscheint.

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