Neue Unschärferelation

Sammelsurium mit Highlights: Jahresausstellung „Ferne Nähe – Nahe Ferne“ des Berufsverbands bildender Künstler im Kunsthaus changiert zwischen Privatheit und Professionalität

Unüberbrückbare Distanz zum Still-Leben des Gegenübers

von PETRA SCHELLEN

Vielleicht hätte man lieber einen Augenarzt zum Thema befragen sollen. Oder einfach gar nichts aufhängen und stattdessen verunscharfende Brillen an die Besucher austeilen. Und wer weiß, vielleicht läge in solch neuartigem Publikumsverhalten die wahre Herausforderung der Ausstellung Ferne Nähe – Nahe Ferne, die derzeit im Kunsthaus zu sehen ist. Denn vielleicht ist das Konzept tatsächlich kühner als gedacht und lädt eben nicht zum nahen Schauen ein, könnten sich die Exponate dann doch als recht banal erweisen.

Als Jahresausstellung des Berufsverbands bildender Künstler Hamburgs (BBK) versteht sich die aktuelle Präsentation. Und fast scheint es, als hätten sich die KünstlerInnen mit dem – an sich hoch philosophischen – Thema nicht recht anfreunden können, vor lauter Verzweiflung gar das häusliche Nähkästchen geplündert: Ein privates Erinnerungs-schränkchen hat zum Beispiel Mareile Stancke aufgehängt, mit von Frauenbildnissen hinterfangenen Spiegeln sowie einer Batterie Glühbirnen ausgestattet, die über Kosmetika und Rasierklingen prangt. Splitter der Erinnerung hat die Künstlerin die Installation genannt, die im Betroffenheitsgestus verharrt und wie die ganz persönliche Verarbeitung eines Trennungstraumas erscheint.

Wenig abgeklärt gibt sich auch Barbara Brenners Boden-Installation Herzenssachen (2002), ein säuberlich angeordnetes Spielzeug-Sammelsurium, vermutlich frisch von Großelterns Speicher gezerrt. Doch auch hier: weder Abstand noch gar Ironie, sondern brave, fast ängstliche Angepasstheit, gegen die jede flüchtig hingeworfene Flohmarkt-Auslage origineller wirkt. Manchmal hilft beflissener Gestaltungswille nur wenig, verkrampft den Künstler vielleicht gar.

In ein starres Credo eingekeilt wurden schließlich die drei nebeneinander gehängten, auf Stoff gedruckten Fotos von Claus Kienle und Frauke Hänke mit dem Titel Dialogisch: Ein Globus, eine Galaxie-Ausschnitt sowie ein riesiger Daumen-Abdruck finden sich hier, pseudo-provokativ und durchsichtig didaktisch an die Wand gepappt. Zwar entstand das Werk bereits anno 1994. Doch auch damals war die Wissenschaft bereits mit der Theorie vom „Kleinen im Großen“ vertraut und wusste, dass die DNA jeder Einzelzelle den genetischen Code des ganzen Körpers enthält und dass sich irdische Muster im Kosmos wiederfinden. Und wenn die KünstlerInnen schon so plakativ eigene Erkenntnisse kundtun: Warum muss das so komplett humorlos passieren, von keinerlei Abstand zum eigenen, menschlich-wuselnden Erkenntnistrieb getrübt?

Und warum hat das BBK-Gremium – auf einen Kurator hat man diesmal verzichtet – nicht stärker auf Künstler wie Ralf Jurszo gesetzt, dessen fotorealistische Gemälde mögliche Tatorte – Waldstücke mit rot draufgekrakelten Mädchennamen – zeigen, die schon die Schau Deep Darkness Ende 2001 im Altonaer Museum bereicherten? Eine raffinierte Jonglage mit des Betrachters Imagination wird hier betrieben, die Abstand zum eigenen Assoziationsverhalten einfordert, weil jede weitere Information verweigert wird.

Gelungen auch Stefanie Ritters großformatige Schwarzweiß-Fotos mit dem Titel Der lange Augenblick (2002), die elegant die räumliche und zeitliche Koexistenz von Nähe und Ferne demonstrieren: Am Kopfende – fast exakt im Fluchtpunkt – eines in Zentralperspektive präsentierten, angeschnittenen Tischs sitzt eine ältere Frau, deren Gesicht Schema bleibt.

Ein versiertes Spiel, das das in der Renaissance entwickelte Perspektivenprinzip zugleich zitiert und bricht, da Vorder- und Hintergrund gleich unscharf bleiben. Daran ändert auch die dynamische Komposition nichts. Im Gegenteil: Schärfe als hierarchisierendes, den Blickweg diktierendes Stilmittel entfällt, denn jeder Ort des Bildes wirkt gleich verwaschen, als blicke ein Kurzsichtiger hilflos in die Welt. Jemand, der seine lieb gewonnenen Orientierungshilfen verlor. Und der die Distanz zum Still-Leben, in dem sein Gegenüber plötzlich sitzt, einfach nicht überbrücken kann.

Di–So 11–18 Uhr; Kunsthaus Hamburg, Klosterwall 15; bis 10. November