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Eros im Stadtbad

Posen und Poesie: Für „Das Gastmahl“ nach Platon ist das Gorki-Theater in das Stadtbad Oderberger Straße gezogen

Der Rahmen ist vielversprechend. Zwischen gekachelten Wänden, unter Bögen und Arkaden, sind die Bänke für das Trinkgelage aufgebaut. Das Publikum, das der Einladung des Gorki-Theaters ins verwitterte Stadtbad Oderberger Straße gefolgt ist, sitzt mit den Schauspielern im Grund des Beckens. Es muffelt ein wenig. Aber noch ist man guten Mutes, mit der Inszenierung des „Gastmahls“ nach Platon in eine Welt eingeladen zu sein, in der körperliche Entspannung und diskursive Gesprächskultur sich im Ideal begegneten.

Dann kommen die Schauspieler, ungeheuer gut gelaunt und machen Witze. Ihre Bereitschaft zur Selbstironie ist an diesem Abend unumstößlich. Sie versuchen die weite Kluft, die uns von der Philosophie des Platon und seinem Hauptredner Sokrates trennt, in der Karikatur zu überspringen. Sie werfen sich am Beginn jeder Rede in Pose. Dann aber, glücklicherweise, reißt sie der Text mit sich fort, die schönen Sprachbilder entfalten sich und eine Rhetorik breitet sich aus, die man nur neidvoll bestaunen kann. Wie da aus der Sprache eine ganze Welt erschaffen und um und um gewendet wird.

Denn in ihrem Streit über das Wesen des Eros durchqueren sie einmal die Weltordnung, von den Schöpfungsmythen, über den Streit zwischen Menschen und Göttern bis zu den verschiedenen Formen der Bedürftigkeit. Dass Platons Text als kleines gelbes Reclamheft bis heute immer wieder in studentischen Bücherregalen neben den französischen Philosophen auftaucht, liegt nicht zuletzt an den poetischen Bildern, die man bei ihm für die Kategorien der Differenz und des Begehrens findet. Von diesem aktuellem Interesse am Text verrät die Inszenierung allerdings nichts.

Akteur 1, Burghart Klaußner, übernimmt die Erzählung des Aristophanes von den Kugelmenschen, die ursprünglich beide Geschlechter in sich vereinten und in ihren Vollkommenheit Streit mit den Göttern anfingen, eine Spur zu jovial. Akteur 4, Gilles Tschudi, für den Schwärmer Agathon und die Eifersucht des eitlen Alkibiades zuständig, ist ständig wie gefangen in der eigenen Begeisterung. Ein wenig gleichen sie albernen Schuljungen, bis auf Akteur 3, Alexander Lang, der mit trockener Weisheit, scheinbarer Zerstreuung und dem Witz des Widerspruchs sie alle als Sokrates demontieren und überführen darf.

Allein der Regisseur Stephan Müller hat dem Prosatext zu wenig getraut und zu viele Lockerungsübungen zwischen die stark gekürzten Reden und Erzählungen gestreut. Nun ja, die Männer tanzen zwischendurch und üben sich in stilisierten Posen des Hedonismus, was ein wenig peinlich wirkt. Sie strengen sich viel zu sehr an, locker zu erscheinen. Sie wollen bei einer Körperkultur der Jugend von heute anbandeln und das sieht dann auch entsprechend aus, wie Väter, die sich auf die Party ihrer Kinder mischen.

So bleibt das „Gastmahl“ zwar unterhaltend, aber auch harmlos. Umsonst weist das Programmheft auf die gefährliche Dimension des Trinkgelages hin, den Rausch, dessen zerstörerische Kräfte durch das Ritual gebändigt werden. Das zerstörerische Potenzial der Liebe, der Schmerz, der auch die Liebe zur Wahrheit begleitet, man hört zwar davon, aber es kommt kaum an. KATRIN BETTINA MÜLLER

„Das Gastmahl“, 26. 10., ab 6. 11., 20 Uhr, Stadtbad Oderberger Straße (57–59), Prenzlauer Berg

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