: Aufblühendes Leben
Barbaras Königreich ist nicht von Dauer. 365 Tage regiert sie über ein paar Hektar Weinberg und etliche Liter Unkeler Sonnenberg, einen halbtrockenen Spätburgunder, und seine glücklichen Trinker
von JUDITH LUIG
Im kommenden Sommer reicht Barbara Simon ihr Zepter an die nächste Weinkönigin weiter. Nur ein Jahr Ruhm in einer Kleinstadt am Rhein – dafür muss sich die 21-Jährige aber auch nicht mit Revolutionen plagen. Burgundia Barbara III. hat überschaubare Aufgaben: sich per Schiff über den Rhein fahren lassen, das Unkeler Weinfest eröffnen und die Rührung der Großmutter, einst Burgundia Maria I., genießen.
Monarchin werden ist in der Region relativ einfach. Wie Karl Kaffeine, ein erfahrener Königinnenmacher aus dem benachbarten Rhöndorfer Winzerverein, es zusammenfasst: „Sie muss ein bisschen was aussehen, sie muss sich ein bisschen bewegen können.“ Das reicht. Ein Thronfolgekrieg entbrennt selten.
Ein Diadem im Haar und ein Taftkleid in Zartpink – lockt das eine junge Frau Wochenende für Wochenende in die Festzelte? „Das ist es ganz bestimmt nicht“, erklärt Burgundia Barbara. Überhaupt, ihr Kleid sei aus Samt und ein Erbstück aller vorherigen Unkeler Weinköniginnen. Und auch wenn es viele Kilo wiegt, gefällt es Barbara. Aber jetzt kann sie sich nicht weiter aufhalten, denn im Moment ist Barbara gar nicht Weinkönigin, sondern geht ihrer bürgerlichen Arbeit nach. Heute Abend auf dem Weinfest in Königswinter ist sie eventuell bereit, weitere Fragen zu beantworten.
Ursula Adrian hat diese Doppelbelastung schon hinter sich. In der elterlichen Weinstube in Oderdollendorf versucht die Winzerstochter, sich an ihre Zeit als Weinblütenkönigin Ursula I. zu erinnern, aber so richtig will ihr nichts einfallen. Zumindest nichts, was sie hinterher in der Zeitung lesen will. „Im Prinzip war es vor allem die Idee meines Vaters“, sagt ihre Majestät schließlich. Aber der Königinnenvater ist gerade zur Weinernte im Laurentiushügel und kann ihr nicht helfen. Also erzählt Ursula Adrian einfach von ihren anderen Königswürden. Sie war nämlich auch Königin des Junggesellenvereins und zweifache Schützenkönigin.
„Hätte es hier noch eine Karnevalsprinzessin gegeben, hätte ich das auch gemacht“, sagt sie und kramt in einem Bauernschrank nach alten Fotos. So richtig untertänig, fällt ihr ein, waren die Vorsitzenden des Ortsvereins damals übrigens zunächst nicht. Es gab da Feste, auf denen die Achtzehnjährige würdevoll in einer Ecke des Festzelts saß. „Ich musste mich erst behaupten.“
Dann findet sie ein Foto von sich als Königin. Auf dem Bild ist sie zwanzig Jahre jünger und ebenso viele Pfunde schwerer. Die Ursula auf dem Foto lächelt etwas gezwungen und bringt damit die heutige Ursula zum Lachen. „Ach, eigentlich war es doch auch sehr schön.“ Und dann fällt Ursula I. noch ein, was Weinköniginnen anderen Regentinnen voraushaben: die Aufstiegschancen. Ein Punkt – darüber kann sie sich heute noch ärgern – hat ihr zur Weingebietskönigin des Mittelrheins gefehlt. „Das wäre was gewesen!“ Und Deutsche Weinkönigin erst. Gerade kommt ihr Vater zu Sahnehering und Kartoffeln in die Weinstube. Der Winzer kann einiges zum Thema Weinkönigin sagen. Aber erst nach dem Tischgebet!
„Wir sind mit dem Wein ver bunden“, erklärt er beim Essen. Der gedeihe ja nicht überall in der Welt. „Man ist verpflichtet, die Früchte der Natur zu zeigen und dann auch ein Wort darüber zu verlieren.“ Aber muss das unbedingt eine Weinkönigin tun? „Sicher. Ein junges Mädchen hat Herzhaftigkeit und Frische: Das aufblühende Leben, das ist genau wie der Wein.“
Wozu es bei Ursula nicht gereicht hat, das hat Annika Gasper geschafft: Acht Konkurrentinnen hat sie mit ihrem Witz übertrumpft und ist Gebietsweinkönigin der Ahr geworden. Völlig erledigt kam sie nach der Wahl im strömenden Regen zu Hause an. „Und dann stand das ganze Dorf vor der Tür, und mein Haus war geschmückt.“ Hunderte von Auftritten, vom Burgfest bis zur Gästeehrung, hat sie als Weinkönigin durchlächelt und durchwinkt, zweimal als Weinkönigin und einmal als Prinzessin. Annika war schon unterwegs zur letzten Stufe: Deutsche Weinkönigin. Zwei Seminare hat sie dafür absolviert, Kameratraining, Rhetorikkurs, Fachlektüre. Gereicht hat es leider dann doch nicht.
Hinter beleuchteten Glastüren stehen im Schrank die Pokale: Einer mit eingeschliffenem „Annika“ für die Stadt, einer mit „Annika“ für das Anbaugebiet Ahr und einer mit „Ingrid 1976“. „Der gehört meiner Mutter.“ Aha, noch eine Königsfamilie. Doch auch Ingrids nostalgische Rührung hält sich in Grenzen. Etwas zögerlich nimmt sie auf der Couch Platz. „Nee, also da hat sich einiges geändert.“ Was denn? Ingrid hat einen Großteil ihrer Repräsentationspflichten als Weinkönigin am Bahnhof verbracht. Jeden Tag kamen Sonderzüge aus dem Ruhrgebiet. „Meist haben die Gäste nur den Bahnhof gesehen“, gluckst Ingrid. Der Wein wurde gekippt wie Bier. Ballermann an der Ahr. „Sei froh, dass du das nicht mitmachen musst, Annika.“ Der Umschwung kam, als man nicht mehr Literwein verkaufte. „Klasse statt Masse“, erklärt Annika, ganz in ihrer Rolle. „Heute gibt es hier mehr Gourmetweine.“ Und wie steht es mit der Emanzipation? Ist es Zeit für einen Weinkönig? „Nein, das sieht nach nix aus.“
Burgundia Barbara III. ist mittlerweile auf dem Königswinterer Weinfest eingetroffen und hat ihr erstes Bad in der Menge hinter sich. „Als sie mich gefragt haben“, erklärt sie lachend, „ob ich Königin werden will, dachte ich: Oh Gott, das kannst du niemandem erzählen.“ Im Prinzip ist es ihr gleichgültig, was man von ihr denkt. „Die Leute aus der Stadt, die ohne all die Traditionen leben, verpassen viel.“
Es ist eine Phase des Umbruchs: Viele nörgeln, früher sei alles schöner gewesen. Egal. „Fröhliche Menschen und guter Wein sollen stets beisammen sein“ ist Barbaras Weinspruch. Den hat sie im Internet gefunden, und nach ihm lebt sie ihr Königinnendasein samt Autogrammstunden. „Es ist schon toll, wenn man umjubelt wird.“
JUDITH LUIG, 27, freie Autorin in Berlin, hat „gelegentlich gern selbst etwas im Krönchen“
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