: Der einsame Kellner
Zwischen Egomanie und Einfühlungsvermögen, zwischen Amselfelder und Mouton: Sommelier – zu Deutsch: Weinkellner – ist ein schöner, aber durchaus anfechtbarer Beruf
von TILL DAVID EHRLICH
Helden sind einsame Menschen. Der Mann schreitet durch das Restaurant, als sei es ein Laufsteg. Er ist Anfang dreißig und trägt seinen schwarzen Anzug wie eine zweite Haut. Am Revers blitzt eine goldene Brosche in Traubenform, das Zeichen des Weinkellners – Berufsbezeichnung: Sommelier. Monsieur fixiert unseren Tisch. Andächtig überreicht er sein Werk, die Weinkarte. Jeder bekommt eine. Dann verschwindet er, lässt uns allein. Hilflos. Vor uns die Karten, dick wie Bibeln, in Leder gebunden. Unzählige Seiten, eng bedruckt. Kerzenlicht. Brille nicht dabei. Weine über Weine, alle erdenklichen Jahrgänge und Preise. Ein Labyrinth.
Endlich kehrt er zurück. Okay, okay: Die Lektion hat gesessen, wir sind brav, wir werden den Wein bestellen, den er zum Essen empfiehlt. Er nennt einen Chablis, der besonders gut zur Forelle passe. „Den Wein kenne ich, der ist nicht so toll“, platzt plötzlich mein Nachbar heraus. Das ist die Kriegserklärung!
Der Sommelier blickt eisig. Die launige Unterhaltung an unserem Tisch erstirbt. Dann beginnt der Spießrutenlauf. Monsieur zeigt uns, was er draufhat. Er redet von tertiärem Kalkboden in Südburgund, von Kaltvergärung, reduktivem Stahltankausbau. Es geht nicht mehr um den Wein. Es geht ums Ego. Er schlägt uns Alternativen vor, für mehr als hundert Euro die Flasche, von denen er annimmt, dass wir sie uns nicht leisten können oder wollen. Er führt uns vor. Ein Albtraum.
Statt unbeschwerten Schlemmens nun ein Kampf mit dem Weinkellner. Wir, seine Gäste, haben Angst. Angst vor der Blamage, als kulinarische Trottel dazustehen. Der Sommelier weiß das. Und diese Karte spielt er aus. Sommeliers gehören einer erlesenen Zunft an. Sie gehören zum Hochadel des Dienstleistungsgewerbes und erleben gerade einen Boom. Sie sind für das Prestige der Gourmetgastronomie genauso wichtig wie Foie gras und Trüffel.
Das Problem beginnt also beim Image. Und bei der schier unüberschaubaren Vielfalt der Weinwelt. Noch immer gilt es in der Topgastronomie als schick, dem Gast mehrere hundert Weine zu offerieren. Klotzen statt kleckern. Also sind Spezialisten gefragt, um dem überforderten Gast zu erklären, dass der 90er Bordeaux ein Jahrhundertjahrgang war und der halbtrockene Mosel den Ziegenkäse liebt. Es gilt, den passenden Wein zum Essen zu finden und den Gast als Mundschenk zu bedienen.
Ein guter Sommelier kümmert sich dezent um die perfekte Temperatur des Weins, nimmt einen winzigen Schluck, um zu prüfen, ob der Wein die richtige Temperatur und Reife hat, zudem kein Korkgeschmack den Genuss trübt. Außerdem beschäftigt er sich mit der Bestückung und Pflege des Weinkellers, den sich jedes Restaurant aufbaut, wenn es in der Topgastronomie mitmischen will.
Sommeliers müssen einen sicheren Geschmack und ein immenses Fachwissen besitzen, wollen sie sich im Dschungel der Weinwelt zurechtfinden. Vor allem müssen sie Nase, Gaumen und Gedächtnis trainieren. Also schnuppern, schlürfen und fachsimpeln sie miteinander um die Wette: Welche Aromen hat der Wein? Schmeckt er nach Sandelholz, Vanille, Aprikose oder doch nur nach Leder, Lack und Gummi? Am liebsten verkosten sie Weine, deren Etikett verdeckt ist. Blindekuh. Wer am dichtesten dran ist oder den Wein errät – der ist der Champion. Sommeliers sind wie Rennpferde: geboren, um zu siegen. Ihr Wettbewerb rankt sich um die Frage: Wer ist der Beste im Restaurant, in der Stadt, im Land, weltweit?!
Regelmäßig organisieren sie deutsche, europäische, und alle drei Jahre Weltmeisterschaften. 1989 war der Franzose Serge Dubs Sommelierweltmeister. Seit 27 Jahren ist er Sommelier in einem Gourmettempel im Elsass. Sein nicht gerade bescheidener Anspruch lautet: „Eine Flasche Wein ist wie eine Öllampe mit eingeschlossenem Geist. Ein Sommelier kann dem Wein seine Seele einhauchen, und sein Genie zeigt sich, wenn er ihn dadurch zum Leben erweckt. Erst dann ist ein Wein groß und der Sommelier genial.“ Der Sommelier, das Genie. Viele Sommeliers glauben, alles über Wein zu wissen. Und dann sitzt abends im Restaurant an Tisch vier eine ältere Dame, die sich penetrant nach Amselfelder erkundigt …
Was dabei auf der Strecke bleibt, ist die Freude am Wein. Dies zu vermitteln, sieht Jana Schellenberg als ihre vornehmliche Aufgabe. Die 29-Jährige ist Sommelière im Romantik Hotel Pattis in Dresden. Wer sie erlebt, begreift, dass es auch ganz anders geht; und wie beglückend es sein kann, Essen und Wein möglichst perfekt zu kombinieren. Man spürt, dass der Beruf des Sommeliers sehr viel mit Vertrauen und Einfühlungsvermögen zu tun hat.
„Das Wichtigste“, sagt Jana Schellenberg, „ist für mich der Geschmack meiner Gäste. Wenn jemand Rotwein zum Fisch trinken will, dann schlage ich ihm das Passende vor. Ich versuche, auf die Gäste einzugehen, und zwinge ihnen nicht meinen Geschmack auf.“ Schellenberg will nicht genial sein, sie hat Spaß an ihrem Beruf, am Wein und an der Weinkultur. Und wie wahrer Genuss Menschen verbindet, trennt er sie auch.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen