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Nur drei Stunden bis zum Meer

Das Ostseebad Warnemünde ist fest in der Hand Berliner Tagesausflügler, die mit dem Expresszug quasi bis an den Strand gefahren werden. Zwischen Fischmarkt, Teepott und Sky Bar kann man auch im Herbst angenehme Stunden verbringen

von CHRISTINE BERGER

Es regnet. Dicke Tropfen klopfen an die Fensterscheiben des Regionalzuges nach Warnemünde, der am Morgen noch im Halbdämmern in Berlin aufgebrochen ist. Trotz der dunklen Wolken über den Schienen ist die Stimmung an „Bord“ beschwingt. Eine Flasche Korn hat schon ein paar Mal die Runde gemacht, und die Stimmen der Kegelbrüder und -schwestern, die sich mit dem Schönen-Wochenend-Ticket auf Tour begeben haben, plappern wie geölt. Im Gegensatz zu den Sommermonaten ist das Publikum im Warnemünde-Express angenehm diszipliniert, keine Schnapsleichen im Gang und niemand, der die Fahrt auf der Toilette verbringt.

Knapp drei Stunden braucht der Zug bis zum Meer, dann ergießen sich die Großstädter über den kleinen Ort. Am Ausgang des Warnemünder Bahnhofs macht ein Regenschirmverkäufer das große Geschäft. „Der erste Regen seit vier Wochen“, begrüßt er die Gäste, die sich für zehn Euro ein Dach über dem Kopf kaufen. Beschirmt trotten wir über den Alten Strom, an dem die Ausflugsdampfer vertäut sind. Vorbei an Andenkenläden, Modeboutiquen und Fischimbissbuden.

Ein bisschen erinnert der Ort an holländische Küstenarchitektur, zweistöckige Häuser reihen sich wie Perlen auf einer Kette aneinander. Hinter der kubanischen Cocktailbar am Ende der Straße lugt das offene Meer hervor. Wuchtige Fähren schaufeln sich in respektabler Geschwindigkeit Richtung Skandinavien, ein Kommen und Gehen auf dem fast spiegelglatten Meer.

Durchatmen! Die eisig frische Luft macht einsam am Strand. Kaum jemand zu sehen angesichts der Regenwolken über der leichten Dünung. Selbst die Strandkörbe haben sich schon verkrochen und stehen dicht gedrängt zusammen wie ein Rudel Schafe kurz vor dem Abtransport ins Winterquartier. Genau 120 Jahre ist es her, dass in Warnemünde der erste Korbstuhl geflochten wurde. Die pfiffige Erfindung ist dem Rheumatismus einer gewissen Elfriede Maltzahn zu verdanken. Sie beauftragte 1882 den Warnemünder Hof-Korbmacher Wilhelm Bartelmann, eine Sitzgelegenheit zu fertigen, die sie am Strand vor dem Wind schützte.

Beliebter Hotelklotz

Ab und zu schafft es ein Sonnenstrahl durch die dicke Wolkendecke, und dann funkeln die Fenster des 22-stöckigen Hotel Neptun, das ansonsten wie ein ungehobelter Klotz den Strand verschandelt. Doch die Warnemünder wissen das Neptun, das bereits 1971 das Licht der Welt erblickte, zu schätzen. Schließlich bietet das Fünf-Sterne-Hotel nicht nur einen paradiesischen Wellnesstrakt, sondern auch eine Menge Jobs. An diesem Wochenende ist das Neptun nicht nur wegen des Jahrestreffens deutscher Makler so gut wie ausgebucht, sondern auch das Fußballspiel FC Hansa Rostock gegen Bayer Leverkusen hat jede Menge besser verdienendes Publikum nach Warnemünde gespült.

Später im Café im „Teepott“, dem muschelförmigen Wahrzeichen, das zehn Jahre lang leer stand und jetzt wieder jede Menge Gastronomie beherbergt, fachsimpeln Profifußballer am Nebentisch, essen Apfelkuchen und sehen so gesund aus, dass einem die Zigarette in der Packung stecken bleibt. Ungesund sind dagegen die Preise in dem neumodischen Selbstbedienungsambiente, aber etwas anderes erwartet man auch kaum an einem solch exponierten Ort wie dem Teepott. Das gewagte Bauwerk des Architekten Erich Kaufmann kam 1968 an den Strand und sorgt seither neben dem Hotel Neptun für geteilte Meinungen darüber, was Architekten mit Fischerdörfern anstellen dürfen und was nicht.

Der Regen hört nicht auf, so wird die Dorfchronik interessant, die das Heimatmuseum mit allerlei Dokumenten belegt. „Vernemündes“ Geschichte reicht bis in die Mitte des 12. Jahrhunderts zurück. Einst von den Dänen gegründet, diente das Fischerdorf dänischen und slawischen Königen als Residenz. Zweihundert Jahre später eroberten die mecklenburgischen Fürsten den Küstenort und sicherten sich auf diese Weise den wichtigen Seezugang für die aufstrebende Handelsschiffahrt. Die Warnemünder hatten es nicht leicht unter der Rostocker Knute, war ihnen doch selbst der Fischverkauf zeitweise verboten.

Die Entwicklung zum Badeort vollzog sich erst in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts.

Wo gibt’s Fisch?

Ganz nach dem Geschmack der Touristen hat sich der Ort in den letzten Jahren gewandelt. Nicht nur, dass die Bayrische Restaurantkette „Leopold’s“ im Teepott Einzug gehalten hat, auch Salsa-Küche, griechische Gerichte, kubanische Cocktails und Mittelmeerfisch nährt die vielen Touristen aus Nah und Fern. Doch so multikulturell das Angebot daherkommt, so sehr sehnt sich der entwurzelte Großstädter nach einem einfachen regionalen Fischgericht. Das ist gar nicht so leicht zu bekommen, was nicht zuletzt der leer gefischten Ostsee zu verdanken sein dürfte. Immerhin gibt es am Hafen noch herzhafte Makrelenbrötchen, Bücklinge und gebratene Scholle zu kaufen. Auf die Hand und im Stehen. Wer es billig und schnell mag, geht dann doch lieber ins Selbstbedienungsrestaurant am Bahnhof. Dort wandern Schollen und Heringe zu dutzenden über den Tresen, dazu einen Schlag fettriefende Bratkartoffeln und fertig ist die Sause.

Später auf dem Rückweg nach Berlin, versetzt diese brutale Kalorienbombe in einen angenehmen Dämmerzustand. Da kann der Kegelclub im Nachbarwaggon noch so falsch singen. Schön war’s doch am Ostseestrand.

Der Warnemünde-Express fährt nur am Wochenende. Während der Woche nehmen Tagesausflügler den Regionalzug um 8.46 Uhr nach Rostock und steigen dort in die S-Bahn um. Der Express startet morgens um 8.28 Uhr Berlin-Ostbahnhof (Bhf. Zoo: 8.44 Uhr) und erreicht nach Stopps in Oranienburg und Waren um 11.43 Uhr Warnemünde. Zurück geht es um 17.48 Uhr, Ankunft in Berlin ist um 20.53 Uhr. Preisermäßigungen gibt es mit dem Wochenend-Ticket, dem Ostsee-Ticket und der Fahrrad-Netzkarte.

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